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AutorenbildHilda Steinkamp

Nicht hinter jeder Palme geht's ins Paradies

Aktualisiert: 13. Okt. 2023

Wege durch Vietnam (4): Fischfang und Verkauf in lokalen Händen

Fischerdorf Ninh Thùy: Frischer Fang jeden Morgen ab 5:00 Uhr

Heute bin ich schon vor sunrise im benachbarten Fischerdorf Ninh Thùy. 8 km entfernt. Paradise Resort Doc Let liegt noch im Halbschlaf. Um 4:45 Uhr Uhr geht's los mit dem Personal Driver. Taxis sind hier keine Erwerbsquelle, jeder ist mobil, meist per Bike, von den Resort-Gästen will eh keiner auf einen Tag Strandleben verzichten. Mit 150.000 VNÐ für die kurze Fahrt ist der Frühaufsteher-Fahrer gut entlohnt und der Fahrgast erleichtert, knappe 6 EURO sind verkraftbar, wenngleich hier überteuert. Und dafür habe ich den langen Fußmarsch am dunklen Strand entlang gespart. Zurück gern zu Fuß über Sand, 15.000 Schritte machen sich gut in meiner Vitalbalance, penibel aufgezeichnet von meiner Health-App

Was ist so sehenswert am anderen Ende der Bucht? An einem Sonn- und Ruhetag in Zentral-Vietnam? In aller Frühe? Na, das hier:


Ein Schauspiel am Himmel, zu Wasser und an Land

Keine Ruhe. Keine Sonne. Morgengrauen. Alltäglich wird in Ninh Thùy der Catch of the day aus dem Südchinesischen Meer per Kutter angeliefert und in nussschalengroßen Rundbooten per Paddel und männlicher Muskelkraft ans Ufer gebracht, abgeladen und dann auf Sand und nächtlichen Regenlöchern, zwischen Körben, Kisten, Kutschen (umgestaltete Bikes), Kindern und ja, auch Kühen per Cash 'n' Carry in die Handelsketten eingespeist.


Wasserliebende Vietnamesen nutzen den UV-freien Frühmorgen zum Schwimmen, ohne große Umzieherei, rein ins lauwarme Nass in voller Montur.

Das frei lebende dörfliche Herdenvieh schreitet in Karawanenformation ebenfalls zum Strand, da ist ja was los und vor allem gibt's da frisches Futter: Abfallgut, Bio und leider auch unverrottbarer Haushaltsmüll, gar nicht mal so heimlich entsorgt über Nacht, alle machen es hier so.

Und die geschäftstüchtige Retailer-Species unter den Dorfbewohner macht sich bereit, die frische Fischware unter eiweißliebenden Privatabnehmern, Marktverkäufern, Restaurantbesitzern und Hotelköchen zu vertreiben:

Die Männer haben ihr Tagewerk mit dem Morgengrauen erledigt. Nach den Mühen mit Fischfang, Einsortieren und Uferbelieferung stellen sie sich unter die provisorische Stranddusche und werden zu Zuschauern im Schattenbezirk:

An Land

übernehmen weibliche Strategen das Geschäft. Fischfang und Retail-Verkauf werden jeweils von einer Großfamilie betrieben. So bleiben Anschaffung und Verkauf in einer Hand, auch vor dem Fiskus.

Der Kilopreis für den Marktverkauf liegt höher als für die privaten Verbraucher vor Ort, diese müssen sich sputen, um ihre Sonntagsportion zu sicher, aber Fisch in allen Varianten ist ja im Überfluss da und morgen schon wird sich der nächste Fang in Kisten und Tonnen ergießen:

Die Kauffrauen wiegen und zählen, geben Ware gegen Währung ab, wer nicht flüssig ist, bekommt einen improvisierten Schuldschein ausgestellt, ins Auftragsbuch oder auch spontan auf den Unterarm der Schuldnerin gekritzelt.


Klare Buchführung: Fischsorte - Käufer - Menge - Kilopreis.


Die frühen Morgenstunden sind gnädig, dennoch ist die Plackerei der Frauen unter bedecktem Wolkenhimmel keine coole Fitnessveranstaltung:













Vietnamesische Fischerleute leben nicht um zu arbeiten. Work-Life-Balance, wie es sich die jüngere Generation westlicher Professionals in Selbstverzicht verschreibt, gilt auch hier für einen viel bescheideneren Lebensstil. Einige können mit konzertierter Großfamilien-Aktion (was oft für Kinder vorzeitiges Schulende bedeutet) ihre Hütten am Wasser irgendwann verlassen und in schlichte Villas ziehen. Doch was wie eine Hängematte zwischen Palmen für die Freizeit aussieht, ist tatsächlich ein zum Trocknen aufgespanntes Fischernetz. Die Palmenwipfel vor dem Haus werfen Schatten auf eine Fischerbehausung, nicht auf ein vermutetes tropisches Paradies:


Vom Kutter zur Küste und auf die knatternden Motorräder

Drei Stunden oder ein paar Tage bleiben die privaten Fischkutter auf See, für größere Fische auch schon mal eine Woche oder länger, dann aber weiter draußen. Der Fang ist unkalkulierbar, was Fischart und Menge anbelangt.


Die hochseetauglichen Kutter liegen in einigem Abstand zum Strand vor Anker. Das Frachtgut wird entweder in sortierten Kisten durch kleine Rundboote transportiert (der Transportweg per Klick auf den Pfeil > rechts):

oder in Tonnen aneinandergekettet und im Tauziehen durch kräftige Leute an Land gebracht:

Und dann sind Frauen und Männer wieder gemeinsam gefragt, wenn es um den Abtransport der Frischkost in die verarbeitenden Familien- oder Restaurantbetriebe oder zum Weiterverkauf auf dem Markt geht. Unglaublich ausbaufähige Mopeds schaffen tonnenweise, wie es scheint, Fischladungen davon. Frische zählt. Der nächstliegende Verkehrsweg verläuft geradewegs über den Strand. Dem Gegenverkehr jeder Art wird knapp, aber sorgsam ausgewichen (mitfahren per Klick > am rechten Bildrand):


Manierlichere Fracht können auch zierliche Frauen heimtragen, mit der uralten Kraftmaximierung durch das in Vietnam vielgefragte Tragjoch. Der Name erinnert an traditionelle Landwirtschaft: Ochsen arbeiten unter einem Joch als Kräfteteam.

"Schulterstange" klingt da für Menschen schon weniger belastet. Und hat durchaus die Chance zur Fitnessstange, wie ein durchtrainierter älterer Strandbewohner mir aufmunternd zulächelnd bedeutet. Eine ältere Joggerin bringt sich ohne Hilfsmittel in Schwung:

Sonnengebräunte Haut bei Senioren? Ich dachte, eine helle Haut sei das asiatische Schönheitsideal. "Ja, schon seit Jahrhunderten. Aber heutzutage ist das eher ein Influencer-Ding bei jungen Frauen", erklärt mir eine u25-Jährige. "Vor allem von K-Pop-Idols, also koreanischen Stars der Medienwelt, kommt die Message, dass Bleichheit schön ist. Auch nachgeholfen mit chemischen Mitteln."

Der Weg zurück am Strand

führt zu frischer Hauttönung und einer weiteren Entdeckung, diesmal von küstennahem Fischen. Kein Hobby wie das Angeln als meist männliche Übung in Geschick und Geduld, erfordert das Einholen von einem Schleppnetz Körperkraft und Teamarbeit. Schleppnetzfischerei, Kéo Lưới Rùng auf Vietnamesisch, hat eine lange Tradition und ist eine kulturelle Besonderheit des Landes.


Ein Ruderboot wirft das kreisförmige Netz in ca. 1 km Entfernung vom Ufer ins Meer und bringt die Zugseile zum Einholen des Netzes an Land. Dort werden sie von zwei Männern oder Mannschaften eingezogen.

Das Schleppnetz mit Schwimmkörpern an den oberen und Gewichten an den unteren Rändern öffnet sich im Wasser und sinkt auf den Boden wie ein riesiger Schirm. Die Männer an Land beginnen an den Schnüren zu ziehen, die untere Öffnung zieht sich zusammen, das Netz umschließt alles, was in seine Öffnung schwimmt. Die Männer holen das Netz ein:

Und der Fang? Eine magere Ausbeute von ein paar kleinen Fischen und viel Beifang: Meeresmüll. Mehr Sport als Nahrungsbeschaffung:


Zurück zum Frühstück um 7 Uhr. Köchin Hiếu im Resort will das Paradies-Völkchen verwöhnen. Es gibt wie immer eine Suppe als heimische Zutat für ein gemischtes Frühstück: europäisch, amerikanisch, vietnamesisch. Die Suppe, merke ich nach Herausfischen der soliden Inhaltsstücke mit den Stäbchen und beim ersten hungrigen Zubiss: Fischsuppe! Echte! Keine Tofu-Nachbildung! Geht das für einen mitteleuropäischen Gaumen am Morgen?I Ja. Warum nicht die visuellen Kulturerfahrungen von heute früh auch geschmacklich erweitern? Interkulturelle Erfahrung verläuft auch über Geschmacksnerven! Na ja, vielleicht nicht jeden Morgen.

Und am Abend landet einer von den Fangfrischen aus dem Morgengrauen sichtbar auf meinem Teller. Ich nenne ihn Pedro. Anklang an Petrus, den biblischen Menschenfänger. So viel westliche Kulturidentität muss hier in Südostasien erhalten bleiben. Der vietnamesische Bratfisch fängt voll meine kulinarische Aufmerksamkeit ein.


There's something fishy going on here?!

Nein, hier geht alles mit rechten Dingen zu!


Und das sind keine Traumbilder bei Nacht:






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