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"Wir haben eine Weltsprache - das ist die Kunst"

Aktualisiert: 4. März 2022

Roland Wetzel und Thomas Freundner in der SchlossGalerie Haape


Die "Winterzeit" läuft auch Ende Januar 2022 kalendarisch noch weiter, ebenso die gleichnamige Ausstellung in der Caputher SchlossGalerie Haape von November 2021. Doch intern hat sich der künstlerische Schwerpunkt verlagert. Zwei Männer füllen nun mit ihren Werken Gang und Hauptraum der Galerie: Roland Wetzel und Thomas Freundner.


Gleich am Eingang begrüßt uns Siegrid Müller-Holtz' Wachsmalerei. In den hinteren Raum locken Melanie Haapes Afrika-Gemälde, Sabine Braun stellt dort ihre Öl-Miniaturen "Fische und Vögel" aus, die Keramikgefäße von Andrea Bielicki-Helms und die Keramikfiguren von Sabine Breithor setzen formschöne Akzente:


Dazu kulinarisches Beiwerk:

  • aus Marvins geschickt zelebrierenden Händen an der Cocktailbar

  • und von Olivias appetitlich angereichten Tabletts mit Antipasti und Dolci von Piccolo Gelato in Caputh.

Thomas Freundner aus Caputh und Roland Wetzel aus Leipzig stellen ihre Kunstobjekte und sich selbst vor. Mit kurzweiligen biografischen Clips und freimütigen Enthüllungen aus ihrem Künstlerleben.


"Ich liebe es, draußen zu arbeiten"

Thomas Freundner ist Maler, ebenso diszipliniert wie kreativ am Werk. Zu Silvester 2016 fasst er den "merkwürdigen Vorsatz , jeden Tag eine Zeichnung zu machen", bei Wind und Wetter. Bis dato habe er es auf "ca. 1850 Stück" gebracht und zunächst seine Tagesskizzen in Skizzenbüchern aquarelliert, bis ihm jemand sagte: "Das ist doch total blöd, in Büchern. Das musst du ganz anders machen."

"Und dann habe ich am 1.1.2021 angefangen, die Skizzen auf einzelne Blätter zu machen, die sind jetzt alle da" - er zeigt auf die Holzkiste in der Ecke. Alle Tageskizzen tragen rechts unten einen Stempel mit Tagesdatum und Ortsangabe: Schwielowsee, Petzow, Potsdam, Berlin, Köln, Küstenorte an der Ostsee. "Als guter deutscher Bürger bin ich natürlich genau", sagt er zwinkernd.

Thomas Freundner arbeitet vor Ort im Freien, en plein air, mit Aquarell- und Ölfarben.

Selbst aus dem Auto heraus in der Warteschleife vor dem Boostern in Tegel. Zwischenruf: "Gleich vor Ort verkaufen!"

Am Nordufer von Rügen





"Der große Wurf wird da, vor Ort, gemacht, der Rest im Atelier", berichtet Freundner über seine Ölgemälde. "Der Fotoapparat übersetzt in die Zweidimensionalität", bedauert er. "Man versteht oft den Raum nicht genau", würde er vom Foto ausgehend malen. Und: Es würde sein persönliches Erleben fehlen, die Stimmung, was kein Foto ersetzen kann und was er in die Zeichensprache seines Mediums übersetzt.


"Gerade heute, wo das Abbild so inflationär geworden ist, lernt man mit der Malerei das genaue Hingucken"

"Ich kann jedem nur empfehlen: Mach nicht 500 Urlaubsfotos, sondern fünf gute Zeichnungen!" "Gewusst wie!", kommt der schrille Zuruf eines Zuhörers.

Im Letzten Licht

"Hier zum Beispiel, letzten Montag (17.01.2021), gab es ein furchtbares Weltuntergangswetter. Am späten Nachmittag kam die Sonne 'raus. 'Im Letzten Licht', so hab ich das Gemälde genannt, und so war's auch. Das Ganze kann keine Kamera aufzeichnen. Ich mach zwar ein Referenzfoto, aber künstlerisch führt das nicht weiter. "Und das Licht! Ich arbeite viel lieber im Winter, deswegen sind die Schatten auch blau."

Bei dieser 7-Minuten-Skizze am Domeingang in Köln im Regen schaut dem Maler ein Rentner über die Schulter, wie er Striche waagerecht und senkrecht zu Papier bringt, das Auge minuziös hin- und herwandert zwischen Objekt und Skizzenblock. Nach Minuten der kontrollierten Neugier bricht es aus dem Passanten heraus: "Warum um Himmels willen machen Sie kein Foto?! Und gut is!"


"1000 Urlaubsfotos auf dem Handy, davon maximal 250 angeguckt, und die noch nicht mal sortiert", spricht Freundner unser aller betrübliche Erfahrung an. "Die Auseinandersetzung mit dem Bild findet überhaupt nicht mehr statt! Ich glaube, dass wir mit der Malerei lernen, viel mehr zu sehen."


"Dass jeder Regie-Fuzzi auch noch malen muss!"

So der O-Ton einer früheren Besucherin, die Thomas Freundner als Regisseur und Drehbuchautor kannte. "Diese Frau hatte nicht ganz Unrecht. Aber es war genau anders herum," erklärt er. Angefangen an der Kunsthochschule in Hannover mit der Malerei, unzufrieden mit dem Ausbildungsangebot im linksradikalen politischen Klima der 1980er-Jahre, in die Filmabteilung gewechselt, daraus einen Broterwerb als Filmregisseur und Drehbuchautor gemacht, Malen und Zeichnen privat fortgesetzt. Bis zur künstlerischen Wende Ende 2016. Ein Werdegang im filmischen Zeitraffer.


"Ich möchte jetzt den nächsten Schritt gehen"

"Wenn ich eine Tagesskizze gemacht habe, dann freue ich mich: 'Ach, ist das schön!' Dann habe ich eigentlich auch kein künstlerisches Verlangen mehr. Ich will das jetzt nicht direkt mit sexuellem Verlangen vergleichen ..."

"Wären wir auch nie drauf gekommen!", schallt es durch den Raum.

Kunst und Eros - das ewig rivalisierende Paar!

"Seit dem 1.1.2022 gönne ich es mir, das locker anzugehen, das Tagesgeschäft. Ich möchte mich jetzt weiterentwickeln. Keine Ahnung, wohin."

Wir sind gespannt.


"Man musste anders sein"
Roland Wetzel mit Galeristin Melanie Haape

Roland Wetzel ist Bildhauer. Studiert hat er bis 1981 in Burg Giebichenstein, der Kunsthochschule Halle, als Meisterschüler bei Gerhard Lichtenfeld (1921- 1978), und dort auch sein Handwerk in der Bronzegießerei gelernt. Nach 1990 trug er kompetent zur Restaurierung bekannter Baudenkmale bei.




Aus seiner launigen Retrospektive auf sein Leben als Künstler vor der Wende höre ich Widerständiges heraus, mit dem Schuss an amüsierter Ironie, die von einem inneren Hort der Kunstfreiheit zeugt.


"In Halle, da gab es ja zu meiner Zeit die crème de la crème der ostdeutschen Kunst. Zweimal im Jahr wurde eine Ausstellung gemacht. Ich wurde nicht gebucht. Dazu fällt mir nur ein: Eine schlechte Skulptur ist nicht so schnell gemacht wie ein schlechtes Bild gemalt." Die Lacher in der Galerie sind auf seiner Seite und belohnen künstlerischen Eigensinn.


Bis zur Wende hat der Bildhauer "ne Menge großer Arbeiten hinterlassen." Die kleineren Bronze- und Steinskulpturen, die in der SchlossGalerie ausgestellt sind, zeichnen in lockeren Schritten seinen bildnerischen Schaffensweg nach.

Skulptur 1: Für den Kalksteinkopf "Porträt Ulli König" stand ein früherer Kommilitone aus Wetzels Studienzeiten Modell. Ein unverkäufliches, da ideell teures Objekt!


Skulptur 2: "Ich habe den David ganz anders gemacht, ohne das abgeschlagene Haupt des Goliath. Damals kamen die Nachrichten zu uns über Atomrüstungs- und Nachrüstungsbeschlüsse [NATO-Doppelbeschluss von 1979]. Und ich dachte: Eine einzige solcher Bomben - und die ganze Welt ist hin. Da hab ich den David mit einer inneren Stärke gemacht, nicht einmal mit der Möglichkeit, jemanden erschlagen zu können."


Skulptur 3: "Der alte Mann saß in Halle an der Saale, hatte so 'ne Schiffermütze auf und eine völlig abgeschabte Jacke, ein toller Typ. Man konnte aus ihm 'ne ganze Lebensgeschichte herauslesen. Da ist dann zunächst das Porträt entstanden. Und dann kamen wir im Gespräch auf dieses berühmte Lied "An der Saale hellem Strand". So hab die Skulptur genannt und diesen Typ da auf sein Boot gesetzt, wie ein Segel, und ringsum auf den Bootsrand noch Zeilen aus dem Lied eingeritzt."


Soweit alles Männer-Models aus Roland Wetzels früher Schaffenszeit.


"Die erotische Anmutung - die ist durchaus gewollt"

Wo bleiben die Frauen? Die kamen später. Sie liegen oder stehen oder knien in Bronze überall in den Galerieräumen, als Akte, in entspannter wie gebeugter Körperhaltung.






"Diese spitzen Knochen hier, in den Schultern und den Knien - was soll das?", fragt eine Galeriebesucherin beim Anblick der "Kleinen Liegenden" vor der Cocktailbar.


"Ich wähle bewusst diesen Kontrast zwischen den runden und den kantigen Formen," erklärt Roland Wetzel. "Denn das ist die Formensprache. Ich bin als Bildender Künstler der Auffassung, für mich sollen die Formen sprechen. Große Formen gegen kleine, runde gegen kantige. Und das muss einen Rhythmus ergeben."


Die Besucherin nickt. "Und das macht es ja so interessant. Ich bleibe stehen als Betrachterin, setze mich mit den Formen auseinander, laufe nicht einfach dran vorbei. Der Formkontrast spricht zu mir."







Ob die erotische Anmutung geplant sei?

Na, klar. "Alle haben ihre Freude daran", meint der Bildhauer. Über alle Sprachen hinweg sei die Botschaft der bildenden Kunst gleich.

Eine Weltsprache eben, ist Roland Wetzels Überzeugung.


Die Zeichensprache der Kunst - Formen, Farben, Materie, Größe, Perspektiven - ist universeller als die Schriftsprachen mit ihren national geprägten Zeichen.


Und offener, mehrdeutig. Oft rätselhaft. Mit ästhetischen Irritationen.





Grund genug, auf Spurensuche zu gehen
und die Freude des Entdeckens wieder zu erleben.

In der Wechselausstellung der SchlossGalerie Haape,
an einem ansonsten ereignisarmen trüben Wintertag.
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