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  • AutorenbildHilda Steinkamp

Warum gerade die Biene, Dr. Ziege?

Verhaltensbiologin Madlen Ziege aus Ferch vermittelt zwischen Tier und Mensch

Dr. Madlen Ziege mit Waldkater Arvid bei ihrem Video-Podcast "Die Sendung mit der Ziege" - Foto: Madlen Ziege

Gerade habe ich die "6. Auszeit in Schwielowsee" bebloggt und auf der Pressekonferenz viel Therapeutisches zum Stressmanagement gehört und noch mehr zu negativen Stressfaktoren im Flyer dazu gelesen. Und dann kehre ich in Madlen Zieges Fercher Haus zum Interview ein und lerne das Staunen:


Stress als Wegweiser!

Zur Biene kommen wir nicht auf Anhieb. Aber tierisch ist es schon: "Was können wir von Kaninchen lernen?", fragt sie mich gleich zu Anfang, halb belustigt, halb ernsthaft. "Na ja", zögere ich noch, um an gängigen Züchterwitzen vorbei zu navigieren. Da hilft sie mir schon aus mit einer forschen Salve an allzu menschlichen Neigungen: Geselligkeit, Kommunikation, Sexualität. Zur Kommunikation fügt sie noch vertiefend hinzu: "Kaninchen kommunizieren auch über ihre Latrinen, das sind quasi ihre Social Media Kanäle. Kot und Urin enthalten Informationen über Geschlechtsreife und -bereitschaft und vieles mehr. Und Kotpellets markieren Grundstücksgrenzen ..." Aha. Fäkaliensprache. Mal ganz anders als aus unzivilem menschlichen Mundwerk. Stumm. Und aufschlussreich. Sollten vielleicht Sprachwissenschaftler (mein Metier) mal in ihren Horizont mit aufnehmen.

Madlen Ziege zeichnet auch in ihrer 2023er-Publikation - noch eine Begabung mehr!

Und überhaupt: Mit Wildkaninchen habe alles angefangen. Die Frage:

Was treibt die "Hoppler" in Horden aus dem Umland in die Frankfurter Innenstadt?

war der Antrieb langer Forschungsjahre mit Ergebnissen, die in Madlens Doktorarbeit (2017) mündeten. Was bietet die Mainmetropole mit Hektik, schlechter Luft, Dichte in Bevölkerung und Flächenbebauung den "Hasenartigen", die man eher heimisch im Ländlichen vermutet, ein Mehr an Lebensqualität?


Die mühsamen wissenschaftlichen Recherchen von einst aus ihrer Frankfurter Zeit gießt die Verhaltensbiologin in unserem Gespräch in eine leichte, schnelle Antwort: Stadtkaninchen haben dort, in urbanen Grünanlagen, Parks und Schrebergärten, ein besseres Leben - Nahrung zuhauf, Behausung en masse und natürliche Feinde in Grenzen. Die bedienen sich nämlich auch an den den Bioabfallbergen in der Großstadt. Der ländliche Lebensraum dagegen war bedrohlich lebensfeindlich für Wildkaninchen, Stress hoch drei: mit "kargen Agrarwüsten", "Monokulturen und Graslandschaften", "Füchsen oder Greifvögeln" als Fressfeinden.


Dieser Überlebensstress war für die Hasenartigen der "Wegweiser hin zu einem besseren Leben". So funktioniert Evolution! Vom Land- zum Stadtkaninchen mutiert. Ein Evolutions-Hoppelsprung, finde ich und schwinge mich auf Madlens unnachahmlichen halb fachsprachlichen, halb umgangssprachlichen Tonfall ein.


"Stress ist wie ein Feuermelder - eine lebensrettende Reaktion des Körpers"

resümiert Madlen Ziege das "Kaninchen-Dilemma". Und lenkt zurück zu ihrer Eingangsfrage: "Was können WIR von den Kaninchen lernen?"


Als Verhaltensbiologin arbeitet sie mit Szenarien, um ihre Stress-Erkenntnisse aus dem Tierreich auf den Menschen, die Hierarchiespitze - so meint man - der Lebewelt, zu übertragen.


"Denn wir sind ja auch Tiere", ist Madlen überzeugt, "Säugetiere! Mit weitgehend unterdrückten Instinkten zwar, aber immerhin: mit intakter Intuition."


Auf Seite 42 ihrer jüngsten Publikation entdecke ich ein solches Szenario:


Stress -

- das leuchtet mir jetzt ein - "ist eine Kraft, die nicht gegen, sondern für das Leben arbeitet; ein Signal für das Leben, dass ich etwas ändern muss."

Aus meinem mentalen Lesespeicher dringt ein alter Spruch ans Licht: "Wo eine Tür zufällt, öffnet sich eine andere." Oder so ähnlich. Molières Lebensweisheit reloaded? Nicht ganz - nach der "Ziegen"weisheit ist stressbedingte Lebensumstellung eine Initiativleistung. Mensch - wie Tier - muss es wollen. Und tun. Die besseren Lebensumständen nach erlittener Stresserfahrung stellen sich nicht per Automatismus ein, sind kein Glückstreffer im Wartemodus des Geduldigen. Passend dazu Madlens Wachruf: "Finde, was sich gut anfühlt!"

"Als freiberufliche Wissenschaftskommunikatorin

möchte die Verhaltensbiologin Menschen jeden Alters für naturwissenschaftliche Forschung begeistern", verrät der Klappentext ihrer neuesten Publikation. Schon geschafft bei mir, muss ich gestehen. Keine 15 Minuten nach unserer Begrüßung. Und ihr jüngstes Buch, Die unglaubliche Kraft der Natur. Wie Stress Tieren und Pflanzen den Weg weist (Piper, München 2023), hilft in unterhaltsamem Tonfall und mit ihrem fröhlichen Naturell komplexe ökologische Wechselbeziehungen zwischen Lebewesen und ihrer Umwelt zu verstehen.


Schon mit den ersten saloppen Zeilen:

"Es gab eine Zeit, da hat Stress mein Leben gleichermaßen versaut wie Vogeldreck ein frisch geputztes Fenster."

und dann immer wieder lesernah:

"Jep, das macht Sinn."

"Ganz ehrlich, ich war geplättet."

"Mir rauchte der Kopf."

"Moment! Wie paradox war das denn?"

"Wieso ging es den Langohren hier so gut und mir so schlecht?"

und auch mit erhellenden Analogien:

"Angenommen, du bist ein Wildkaninchen. Du hoppelst so durch die Gegend auf der Suche nach einem schönen Platz, an dem du leben möchtest."


"Ähnlich hart umkämpft wie unser Immobilienmarkt ist auch der der Wildkaninchen."


"Glitschig wie ein Aal wollte sich Stress einfach nicht greifen lassen."


"Das wäre in etwa so, wie wenn dich jemand für zehn Minuten unter Wasser drückt, du ertrinkst, und es am Ende heißt, Wasser ist tödlich."


bringt sie den steinigen wissenschaftlichen Werdegang mit Gang und Ziel ihrer Forschungsarbeit, mit der vernetzten Begrifflichkeit der Evolutions- und Verhaltensforschung einer breiteren, uninformierten Leserschaft näher.

Wie maßgeschneidert für diese mitteilsame naturpädagogische Wissenschaftlerin ist das kommunikative Format des Video-Podcast!


Zwar 2020 aus der Not der Corona-Stillstands geboren, läuft "Die Sendung mit der Ziege" - mit dezent platziertem Doktorhütchen im Coverfoto - ungebremst weiter und hat inzwischen in 115 Folgen ihre Naturbeobachtungen und wissenschaftlichen Erkenntnisse alltagstauglich im Live-Chat an Wissbegierige weitergereicht.


Und die Biene, Frau Ziege?

... ist die knappe Antwort der Aurelia Stiftung in Berlin, die sich mit ihrem Wahlspruch "Es lebe die Biene" dem Schutz dieser bedrohten Tiergruppe verschrieben hat. Madlen Ziege ist dort Vorständin und Fachreferentin für Biodiversität, an ihrer Seite Thomas Radetzki, Vorstand, einst achtsamer Imkermeister und 2015 Stiftungsgründer.


Madlen Ziege und Thomas Radetzki auf Lauschtour in der Natur - Magazin der Aurelia Stiftung, Winter 2022/23

Warum "ums Ganze"? Es geht um das Ökosystem von Bienen, Pflanzen und Menschen (um nur die belebten Teile zu nennen), um eine biologische Lebensgemeinschaft, deren Wohl und Wehe alle Beteiligten im Netzwerk gleichermaßen betrifft.


Im aktuellen Winter-Magazin der Stiftung werde ich fündig: Pestizide aus der Landwirtschaft versprühen Giftstoffe auch auf Löwenzähne und andere Blüher, die für Honig- und Wildbienen reichlich Nektar und Pollen bereithalten. Diese Schadstoffe machen über Imkerbetrieb und Honig ihren Weg auf die Teller der Menschen und beinträchtigen Bienenvölker in vielfältig fataler Weise: Fungizide stören ihr Orientierungsvermögen und ihr Gedächtnis, schwächen ihr Immunsystem, vermindern oder verhindern ihre Fortpflanzung. Die Todesspirale setzt sich fort: Bienensterben, weniger Bienennachwuchs, weniger Bestäubung von Blühpflanzen, die Menschen mit Obst, Gemüse, Nüssen, Kräutern und Honig versorgen, weniger Medikamente mit Wirkstoffen auf pflanzlicher Basis.


Stressfaktoren im Bienenvolk? Hier versagt wohl Stress als Motor der Evolution. Die Bienen können sich wohl kaum einem vergifteten Lebensraum anpassen oder sich durch Flucht einen neuen erschließen, wie die Stadtkaninchen. Vor der industriellen Landwirtschaft mit Monokultur und Pestizideinsatz gibt es kein Entrinnen. Hier muss der Mensch helfend einschreiten. Als Stressmanager. Die Aurelia Stiftung ist so einer.


Was tun?

Die Stiftung setzt sich als Anwalt der Bienen zum erklärten Ziel, sie zu schützen und ihre Lebensräume zu bewahren.

"Die Aurelia Stiftung setzt sich für Bienen, bestäubende Insekten und den Erhalt der Artenvielfalt ein. Unter dem Motto „ES LEBE DIE BIENE“ bringen wir Menschen aus allen Lebensbereichen zusammen und schaffen eine breite zivilgesellschaftliche Bewegung zum Wohl der Bienen" (https://www.aurelia-stiftung.de/ueber-uns/).
Wie?

> durch Forschungsarbeit: Aurelia hat drei Organe: den Vorstand als Geschäftsleitung mit besonderen Fachkompetenzen und Erfahrungen; den Stiftungsrat als Aufsichts- und Bewilligungsinstanz; das Kuratorium mit Personen des öffentlichen Lebens, die das Anliegen der Stiftung in die Gesellschaft tragen. Hinzu kommt der wissenschaftliche Beirat mit unabhängigen renommierten Wissenschaftlern und deren Netzwerk in der akademischen Welt.

> durch Öffentlichkeitsarbeit: Aurelia unterstützt Imker strategisch und finanziell im Rechtsstreit mit pestizidintensiver Landwirtschaft. Sie nimmt Einfluss auf Gesetzgeber und Behörden, die Pflanzenschutzmittel zulassen.

> durch Bildungsarbeit: Aurelia leistet Aufklärungsarbeit mit Projekten (etwa: "Starke Projekte für Honigbienen, Hummeln und Co."), Exkursionen, Webinaren, Workshops (z.B. zum Bau von Wildbienen-Nisthilfen) und Bürgerinitiativen (z.B. "Bienen und Bauern retten", https://www.aurelia-stiftung.de/projekte/).


Auf Spendenbasis finanziert die gemeinnützige Stiftung ihre Arbeit - und gönnt sich so ein Höchstmaß an Unabhängigkeit von Investoren mit Eigeninteresse.


HI-TECH und naturbelassene Räume - geht das?

Klar. In ihrem eigenen Habitat im Fercher Haus und Hof gibt sich Madlen Ziege aufgeklärt ökologisch. Und nachhaltig. Letzteres mit Bezug auf ihr Anwesen: Ehemals Tankstelle, nach der Wende Getränkeshop und Edeka-Laden standen die Gebäude lange ungenutzt und 2018 zum Verkauf. Viele Kaufinteressenten dachten an Abriss und Neubau.

Madlen Ziege und Eris Fellmeth in ihrer umgenutzten ehemaligen Gewerbe-Immobilie

Nicht so Madlen Ziege und ihr deutsch-kanadischer Ehemann Eris Fellmeth. Sie haben die solide Bausubstanz erhalten und nutzen die weitläufigen ehemaligen Geschäfts- und Vorratsräume als offene Wohnlandschaft. Viel Platz fürs Podcast-Equipment der Hausherrin und die aktiv genutzte Instrumentensammlung des Hausherrn, Musiker und Gebäudesteuerungs-Experte in einer Person.


Und so kommt es, dass sich im Hause Ziege-Fellmeth ökologische und Hitech-Interessen organisch paaren und in einem ganz eigenen Biotop-Konzept zusammenfließen:





Die gepflasterte Fläche im Innenhof wird nach und nach entsiegelt, ein Hochbeet lässt naturbelassen Obst- und Gemüsepflanzen gedeihen. Ein alter Rosenstock darf überleben. Das ist Madlens Geschäft.

Eris stiftet Smart-Garden-Technologie dazu:


Regenwasser soll mit elektronischer Steuerung so gesammelt und verteilt werden, wie's gebraucht wird. Perma-Kultur im Garten, ein sich selbst erhaltender Kreislauf. Innovationsimport aus Australien.


Und wo bleiben die Bienen?

Madlen Ziege deutet auf die unordentlichen Ecken im Erdreich. „Wir greifen so gut wie nicht

in unseren Garten ein und lassen alles aufblühen, was aufblühen möchte. Da freuen sich nicht nur die Wildbienen drüber!“

Sagt's und verschwindet ins Kellersouterän, wo sie ein Schlupfloch in die Außenwand eingelassen hat.


Nein, nicht für die Bienen!


Für Fiona und Arvid, ihre rassigen Mitbewohner: norwegische Waldkatze (re) und sibirischer Waldkater (li). Aber die haben in der warmen Frühlingsluft erstmal das Weite gesucht.


*****

Dr. Madlen Ziege

info@madlenziege.com

madlen.ziege@aurelia-stiftung.de





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