Squeezebox Teddy füllt mit Gesang, Geplauder und Klängen aus der Quetschkommode den Kirchenraum in Petzow
Frühlingsanfang am 20. März 2022. Sonne strahlt. Temperatur steigt. Menschen strömen. Auf den Grelleberg in Petzow zur Turmbesteigung. Zum Rundumblick auf die Havellandschaft.
Ein Wohnmobil parkt komfortabel direkt vor der Petzower Dorfkirche. Herauslugen Mann mit Schäferhund. Teddy und Yello. Hund bleibt. Mann geht.
Zur Klangprobe in den Kirchenraum. Dann mit Handyvideokamera zum Rundgang um die Kirche.
Trifft auf die ersten Fans im Torbogen zwischen Kirchenschiff und Turm. Und entpuppt sich im Sonnenlicht als Barde in adaptiertem Vikingerkostüm:
Sänger - Musiker - Entertainer
Ein Multitalent an der Quetschkommode. Berliner von Geburt (1957), in Dessau zu Hause, zu Wasser und über Land, durch Länder und Kontinente unterwegs.
Teddy nimmt noch ein belebendes Bad in der kleinen Menge und legt dann los.
"It's good to see you, to be in your home"
So begrüßt uns Squeezebox Teddy musikalisch mit einem Shanty von Allan Taylor (1978), die Stimme erst leicht gebrochen vor Rührung, dann mit einem fröhlichen "Hey" erleichtert und jubelnd über seine Ankunft "in dieser fantastischen Lage", an diesem "optischen Leckerbissen von Kirche."
"Home" - ja! Jeden Samstag und Sonntag ist dies für ein paar Stunden das Kirchenschiff der Kulturkirche Petzow, ehemals Sakralbau der preußischen Könige nach Schinkels Entwurf, seit Anfang der 1980er-Jahre entwidmet, an den Landkreis Potsdam-Mittelmark verpachtet, ein Treffpunkt für Kunst und Kultur. Und heute Klangkulisse für eine "Musikalische Reise", auf die uns der Sänger mitnimmt und die auch durch Stationen seines künstlerischen Lebens führt.
"I've crossed the ocean ..."
Und mit weiteren Shanties lädt er sein Publikum ein, sich aktiv einzumischen, etwa beim "Mingulay Boat Song" mit rhythmischer Handbewegung und Doppelklatscher die Segel bei Sturm einzuholen oder mit ausgelassenen Zurufen die Seeleute in ihrer Feierlaune zu unterstützen: "Warum sollen wir denn sparen, wenn wir doch zur Hölle fahren."
"... and travelled through many lands"
Nicht minder bewegt und bewegend sind die Landgänge, die der Sänger mit uns unternimmt. Er will mit seiner Stimme, so bekennt er, mit der Modulation ihrer Lautstärke und Dynamik, mit ihrem Gefühlswechsel Geschichten erzählen. "Früher einmal hatte Musik die Aufgabe, Geschichten weiterzutragen, von einem Ort zum anderen, damit man in einer Zeit, wo es keine Telefone, Fernseher etc. gab, wusste, was in anderen Teilen des Landes - von der Welt wollen wir gar nicht reden - passierte." Das erinnert an die Bänkelsänger des Mittelalters, geht mir spontan durch den Kopf, die Nachrichtensprecher vor der Erfindung des Buchdrucks und ohne die geringste Ahnung von Tele- und digitaler Kommunikation. "Und da wurden schöne und schreckliche Dinge berichtet."
Schön und schrecklich klingt es auch in Teddys Liederauswahl an. Ihn zieht es nicht stehend auf die Bank, als Schausteller wie seine historischen Bänkelsängerkollegen. Er nutzt die leicht erhöhte Bühne der Apsis, um im Kirchenraum Gehör zu finden - mit "dieser erstaunlichen Akustik, fast wie im Studio, die die Stimme warm und voll macht", schwärmt er.
In der 1973er-Ballade von Phil Coulter, "The Town I Loved So Well", singt Squeezebox Teddy von der nordirischen Stadt Derry, die sich in den blutigen Konflikten der 1960er- und 70er-Jahre in einen Bruderkriegsschauplatz verwandelt. Die Terrorwelle des Nordirlandkonflikts wiederholt sich gegenwärtig in den Grausamkeiten der russischen Kriegsführung in der Ukraine. Bilder von der Stadt Mariupol in der Ostukraine, in Schutt und Asche gelegt nach den wahllosen Bombenangriffen des russischen Militärs auf strategische wie zivile Ziele, tauchen vor unseren Augen auf - mit den wuchtigen Klangfarben von Teddys Stimme. Wie einst Luke Kelly, der diesen Folksong 1973 mit The Dubliners sang.
Neues Lied, Stimmungswechsel. Der Sänger spürt, wann er sein Publikum aufheitern muss. "Ein Liedchen", kündigt er an und meint damit die Abba-Hymne "Arrival", den Millionenseller von 1976. Überhaupt haben ihn die Musikrichtungen der 1970er-Jahre am meisten inspiriert. Wer kann und will und zu dieser Generation zählt - das sind die allermeisten der Zuhörer -, ist eingeladen mitzusummen. Wie das geht, sich stimmlich in einen Instrumentaltitel einzubringen, macht uns der Sänger mit vibrierender Lippen- und Atemtechnik vor.
Und noch etwas Belebendes spielt und singt der Künstler gleich danach. "Lord of the Dance" ist ein irisches Kirchenlied aus den 60er-Jahren, vom Musiker interpretiert in hüpfenden Takten und vom Publikum klatschend begleitet. Frisch, frech, fröhlich - die Lebens- und Leidensgeschichte Jesu überhöht in lebensbejahender Tanzbewegung. Kein Wunder, dass katholische Iren zu dieser rhythmischen Hymne und zu dieser Botschaft in die Dorfkirchen strömen und unter diesem Titel 1996 in Dublin die berühmte Irish Dance Show mit Michael Flatley als Regisseur und Tänzer in der Hauptrolle uraufgeführt wurde. Des Sängers mimisches Talent ist unverkennbar. Jahrelang trat er im Sommer mit dem Piraten Open Air Theater in Grevesmühlen (MV) auf die Bühne, im Vorprogramm wie in den Stücken selbst.
Bereit für ein erneutes Abtauchen in die Niederungen der Zivilisation? Diesmal geht die Reise über den Atlantik nach Westen auf den nordamerikanischem Kontinent in den US-Bundesstaat Kentucky. Eine einst beschauliche Kleinstadt ist weit davon entfernt, das Gütesiegel "Paradise" weiter für sich zu reklamieren, nach exzessivem Kohlebergbau gewinnt die Energieindustrie an Profit, die Bewohner verlieren 1967 ihren natürlichen Lebensraum, als die Stadt wegen gesundheitlicher Bedenken abgerissen wird. Squeezebox Teddy intoniert in diesem Folksong von John Prine (1971) mit eindringlichem Klageton das Elend eines verlorenen Paradieses.
Zurück zu den Anfängen seiner Sängerkarriere. Vieles: die keltischen Instrumente und Melodien, eine begabte Kehle, ein alternativer Lebens-, Kleider- und Frisurenstil, ein Vagabundendasein quer durch Europa und die USA, Straßenkonzerte in Einkaufszonen und auf öffentlichen Plätzen mit mehr Leidenschaft als Einkünften - all dies teilte Squeezeboy Teddy mit der Kelly Family.
Aus seinen frühen Jahren auf der Straße, mit wuscheligem Kopfhaar, stammt auch Teil 2 seines Künstlernamens: "Teddy" tauften ihn seine Fans aus dem Norden.
Inzwischen ist seine Mähne ergraut. "Wenn die Leute mich sehen, so als Vollbärtigen, Langhaarigen, dann denken sie erstmal: Was soll das heute werden?! Wahrscheinlich so'ne Whiskeystimme, verraucht. Und dann kommt der Moment, wo ich anfange zu singen, und dann sehe ich, dass sich die Haltung entspannt: Ooch, ist ja doch gar nicht so schlecht!"
Über 35 Jahre in der Musikbranche, mit mehr als 5000 Auftritten und 18 gut verkauften Alben, haben ihre Spuren hinterlassen, Teddys Markenzeichen aufgebaut. Er gastiert national und international, allein, mit seiner Band "The Permanent Cure" (1975-2000), als Vorgruppe oder als Konzertmitglied renommierter Bands, darunter Santiano. Seit über 20 Jahren begleiten ihn dabei seine Managerin Petra Lindemann und ihr Ehemann Heinz Lindemann.
Als beider Karrieren in Schwung gekommen waren, musizierten sie auch zusammen, Teddy als Support für die Kelly Family. Heute singt er ihren Song "An Angel", mit der die damals noch neunköpfige und jugendliche Gesangsgruppe 1994 den Durchbruch auf dem Musikmarkt schaffte. Ganz allein, mit Support nur von der "erstaunlichen Akustik" der Petzower Dorfkirche, entführt uns der Sänger auf einen stimmlichen Höhenflug. Mit der glockenhellen Stimme eines staunenden Kindes verheißt er eine himmlisch-sorgenfreie Welt und mahnt in diesen glückseligen Lauschmomenten im Tiefton: "But there's danger in the air".
Song of Joy
Die "Musikalische Reise" mit ihren thematischen und stimmlichen Höhen und Tiefen gipfelt im jubelnden Crescendo von Schillers getexteter, Beethovens komponierter und von der Popgruppe Waldo de los Rios 1970 popularisierter "Ode an die Freude". Wow! Das war unser Teenie-Song, der uns auf den ersten, mehr oder weniger heimlichen Partywegen und später bei den ausgelassenen Feiern zum Schulabschluss und im Studium begleitete. Aber ihn so unvermittelt und so viele Jahre später in einem ehemals sakralen Ambiente und so rhythmisch mitreißend von einem jung gebliebenen Stimm-Dynamo zu erleben - das rührt tiefe Saiten in mir an. Ich genieße mit geschlossenen Augen meinen ganz persönlichen Bildersturm.
"In dem Moment, wo du die Augen zumachst, bist du in deiner Welt", erklärt mir der Sänger später und lebt dies auch in seiner Show vor. Gilt auch für uns Zuhörer!
"Künstler wollen von Ihnen nur eines bekommen - nein, nicht Ihr Geld. Ihre Liebe!"
Und? Hat er? Die Liebe des Publikums bekommen? Der Barde in der Petzower Dorfkirche?
Ja! Im gebannten Zuhören und gelösten Sichzurück-lehnen, im rhythmischen Mitschwingen und Mitsummen, im begeisterten Zwischen- und anhaltenden Schlussapplaus hat sich Nähe aufgebaut, emotional und am Ende auch physisch im engen Fankreis um die CD-Verkaufsbox und den Sänger.
Mit Schuberts Hymne "Ave Maria" schlägt Squeezebox Teddy klassische Töne an und spendet im längst entweihten Sakralraum zum Abschied seinen musikalischen Segen. Und katapultiert die ergriffenen Zuhörer zügig zurück in irdische Freuden mit dem volkstümlichen Schlager "Sierra Madre", dem viel gecoverten Wohlfühlsong, der seit 1970 auf keiner Party im großen Stil fehlen darf.
"Wenn dem Künstler Zuneigung, ein Lächeln entgegenschwebt, dann ist der Tag gerettet. Die ganze Woche. Der ganze Monat! Und dann kommt das Geld von alleine."
Tja, einen Goldregen gab es heute eher nicht.
Aber der Künstler ist hochzufrieden:
"Vor 15 Besuchern" - nun ja, ein paar mehr waren wir schon! - "ganz ruhig die Stimme in den Raum perlen zu lassen, das erdet, macht bodenständig. Baut eine Verbindung auf. Es ist viel einfacher, vor großer Bühne, vor großem Publikum zu singen - das ist distanziert."
Auld Lang Syne
Diese Zugabe ist das längste Stück am heutigen Liedernachmittag. Überhaupt geht der Sänger nicht nach dem Takt der Minutenzeiger, sondern folgt der Rhythmik seines Musikerherzens. Die gebuchten 60 Minuten überzieht er um eine satte Dreiviertelstunde - zu unser aller Freude. "Um der alten Zeiten willen" - so lautet die freie Übersetzung des Liedtitels aus dem Keltischen, den Schotten und Iren und Menschen weltweit singen, wenn sie gute Freunde verabschieden, eine Veranstaltung beenden oder - wie in New York City - den Countdown zum Jahreswechsel anstimmen.
Wer 8:48 Minuten lang miterleben will, wie eindringlich und mehrsprachig der Sänger an seiner Squeezebox uns diesen Balladentext vorträgt, den Joseph Haydn und andere vertonten und so unterschiedliche Interpreten wie die Toten Hosen und Mariah Carey coverten, und uns sein "Nehmt Abschied, Brüder" entgegenhaucht, findet hier den Weg zu meiner Videoaufzeichnung: https://www.youtube.com/watch?v=7izBanPbptY
Ohne musikalische Begleitung und im Sprechtext klingt Teddys Verabschiedung dann so: "Wir sehen uns wieder, hier oder anderswo, hoffentlich gesund."
Gesund - das ist das Stichwort für Kultur-Veranstalterin Doris Patzer, um dem Künstler als Abschiedsgabe ein Sanddorn-Ensemble aus regionalem Anbau, keine 300 m entfernt aus dem Petzower Sanddorngarten, als Abschiedsgabe zu überreichen.
"Habe ich Ihnen etwa zu viel versprochen, am Anfang?! Squeezebox Teddy begeistert mit kraftvoller Stimme, die uns heute Nacht nicht schlafen lassen wird", triumphiert die Veranstalterin - "mit Gänsehaut", so gibt sie zu.
Und kurz darauf, im kleinen Kreis ums Piano, stellt sie in Aussicht, dieses Multitalent mit der musikalischen Bandbreite und dem heißen Draht zum Publikum für das Veranstaltungsprogramm 2023 noch einmal zu engagieren.
Wer sich über weitere Veranstaltungen
des Landkreises Potsdam-Mittelmark 2022
in der Kulturkirche Petzow
informieren oder Karten vorbestellen möchte,
bekommt hier Kontakt:
www.Potsdam-Mittelmark.de
Doris.Patzer@Potsdam-Mittelmark.de
033841 91-442
Comentários