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  • crystalcove15

„Ich habe keine besondere Begabung, sondern bin nur leidenschaftlich neugierig“

Aktualisiert: 13. Juli 2021

Im April 2020 hat die Gemeindevertretung Schwielowsee die ermordete jüdische Reformpädagogin Gertrud Feiertag zur ersten Ehrenbürgerin der Gemeinde ernannt, im Mai dieses Jahres soll – wenn es Corona zulässt – mit einer Feier dieser Ehrenbürgerin gedacht werden. Der Havelbote nimmt dies zum Anlass, um zurückzublicken, wer in der Vergangenheit in dieser Form geehrt worden ist. Der erste Ehrenbürger von Caputh war Albert Einstein.

Neugier trieb Albert Einstein schon früh an: „Wo hat es seine Rädchen?“, wunderte er sich als Zweieinhalbjähriger, als er seine Schwester geboren wurde. Neugier beflügelte ihn in der Schule, mit Bestnoten in Mathematik, Physik, Musik – und mäßigem Interesse am Rest des Lehrplans. Nach eher lustlosen Studienjahren war Neugier sein Motor auf dem forschen Weg durch unentdeckte Felder der Physik. Seine wissenschaftlichen Arbeiten (v. a. Lichtquanten- und Relativitätstheorie), ein „wenig bedeutsames Gepappel“, wie er witzelte, brachten ihm akademische Titel und 1921 den Nobelpreis ein. Ohne Einstein hätten (Röhren-)Fernseher nicht funktioniert, gäbe es weder Solar- und Lasertechnik noch Navigationssysteme, Funkuhren oder Atomstrom. Nuklearwaffen auch nicht – für den Pazifisten Einstein das blanke Entsetzen. Und Neugier trieb den weit gereisten Wissenschaftler raus aus der Großstadt Berlin in das abgelegene Caputh.


„Was nichts kostet, ist nichts wert.“ Nach diesem Grundsatz erwarb Einstein 1929 ein Grundstück in Caputh und finanzierte auch den Hausbau aus eigenen Mitteln. Zu lange hatte man ihm, „dem größten Genie unseres Jahrhunderts“ (Berliner Oberbürgermeister Gustav Böß), ein Haus am See als Geschenk zu seinem 50. Geburtstag in Aussicht gestellt. Widerstand von antisemitischen Berliner Stadtabgeordneten verhinderte die Schenkung. „Das Häuschen ist zwar eine Pleite, aber eine sehr schöne“, übertrieb der Hausherr freudig nach Fertigstellung. Denn mit seinen Einkünften aus Patenten, Vorträgen und Lehrauftrag war Einstein kein Hungerleider. Sein Nobelpreisgeld von ca. 32.000 Dollar (das 10fache eines damaligen Jahresgehalts für Professoren) gab er generös für die Zustimmung seiner ersten Frau zur Scheidung weg.


„Wir begrüßen den neuen Kolumbus der Naturwissenschaft, der einsam durch die fremden Meere des Denkens fährt.“ Diese Grußworte fielen nicht zu Einsteins Einzug ins Caputher Sommerhaus. Sondern 1921 zur Verleihung der Ehrendoktorwürde in Princeton, der renommierten US-Universität. Dennoch – sie passen auch zu seinem kleineren Bewegungsradius am Havelsee. Der Weltweise mit widerspenstigem Haar und verträumtem Blick fand hier Ruhe für seine Denkaufgaben, schätzte die 3000-Seelen-Gemeinde Caputh dafür, dass nicht „jeder Piepser zum Trompetensolo wird“. Als Nichtschwimmer ohne Schwimmweste erkundete er nicht ganz einsam navigierend die Havelseen. „Beim Segeln, das er leidenschaftlich gern betrieb“, berichtet sein Freund Max von Laue, „hatte er keinen sportlichen Ehrgeiz“. Bei Frauen schon, rumorte es mitunter im Dorf. „Man kann einer Katze das Vogelfangen nicht abgewöhnen“, konterte der Segler lakonisch.


„Komm nach Caputh, pfeif auf die Welt!“ Einsteins Lockruf an seinen Sohn Eduard ist heute touristischer Werbeslogan für die Abgeschiedenheit der Gemeinde. Salopp – ohne Socken, mit wirrem Haar, offenem Hemd, knittriger Leinenhose, kalter Pfeife –, mit einem Stapel Bücher unter dem Arm, mit Humor und Freundlichkeit begegnete der Hausherr den Nachbarn aus dem Dorf. So unkonventionell sah man ihn auch die umliegenden Wälder durchstreifen oder hörte ihn zu den unmöglichsten Zeiten Geige spielen. Nobler gestylt empfing er in seinem „Häusle“ hochrangige Gäste aus Politik, Kultur und Wissenschaft wie Chaim Weizman, Käthe Kollwitz, Max Liebermann, Thomas Mann, Rabindranath Tagore und Max Planck. Capuths prominenter Sommerresident machte den Ort weltweit bekannt.


Seine Ruhe vor der Welt verteidigte Einstein erfinderisch: Kein Telefon im Haus, Anrufe gingen auf dem Telefon des Nachbarn ein. Von dort gab es verschiedene Trompetentöne für das Einsteinhaus: eine Tonfolge für die Adoptivtochter, eine andere für die Hausangestellte, eine dritte für Ehefrau Elsa. Diese entschied dann, ob es notwendig war, dass ihr Gatte selbst den Anruf entgegennahm. Ehegatten-Splitting.


„Hier sind wirtschaftlich und politisch düstere Zeiten im Anzuge.“ Diese Gedanken gingen dem politisch engagierten Einstein bereits 1921, in einer frühen Phase des Naziterrors, durch Kopf und Herz. Im Dezember 1932 folgte er einer Einladung zum California Institute of Technology. Die Rückkehr war für März 1933 vorgesehen. Nach Hitlers Machtergreifung im Januar 1933 hat Einstein nie wieder deutschen Boden betreten.


Caputh ernannte Albert Einstein zu seinem 70. Geburtstag 1949 zum Ehrenbürger. „Das Segelschiff, die Fernsicht, die einsamen Herbstspaziergänge, die relative Ruhe, es ist ein Paradies“ – Einstein hat seiner Sommeridylle Caputh alle Ehre angetan.

Hilda Steinkamp


Erstveröffentlichung: Havelbote 01/2021, S. 7

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