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  • crystalcove15

Caputh hat einen neuen Einstein-Stipendiaten - Shyam Wuppuluri aus Indien

Aktualisiert: 18. Jan. 2022

Auf den Gedankengängen eines Multitalents

Shyam auf den Terrassenstufen des Einsteinhauses - Foto: privat

Shyam Wuppuluri lebt und arbeitet seit September 2021 für ein halbes Jahr auf den Spuren Albert Einsteins: in dessen Sommerhaus in Caputh und wie er mit dem Forschungsdrang, über seine Fachgrenzen hinauszugehen. Mit seinen jungen 29 Jahren hat Shyam schon Erstaunliches auf die Beine gestellt: Nach seinem Uni-Abschluss Bachelor of Technology hat er einen Lehrauftrag in Bombay in seinem Heimatland Indien angenommen und seit 2017 in jährlichen Buchpublikationen weitere Ergebnisse seiner Forschung wie auch die Arbeiten weltweit vernetzter Wissenschaftler veröffentlicht. Seine wissenschaftlichen Verdienste haben ihm hohe Auszeichnungen eingebracht: die Honra ao Merito der Brazilian Academy of Philosophy, die Mitgliedschaft in der Royal Society of Arts und aktuell das weltweit renommierte Albert-Einstein-Stipendium 2021.

Was ist das für ein Wunderkind der Wissenschaften?! Ich will es wissen und treffe Shyam Wuppuluri an einem trüben Januarvormittag 2022 zum erhellenden Interview im Bürgerhaus in Caputh. In der 1. Etage hat der Initiativkreis Albert-Einstein-Haus Caputh e.V. sein Informationszentrum eingerichtet, mit einer Dauerausstellung zum Leben und Wirken des berühmten Ehrenbürgers der Gemeinde.


Englisch ist unsere gemeinsame Zweitsprache. Wir bieten einander unsere Vornamen als Anrede an - das ist gute angloamerikanische Gesprächskultur.


Zusammengebracht hat uns Prof. Dr. Krystyna Kauffmann, Vorsitzende des Caputher Vereins Cultura e.V., rege Förderin der Kunst und Kultur in Schwielowsee und darüber hinaus - und Shyams best friend in Caputh.


Shyam, Sie haben es geschafft und sind in Einsteins Sommerhaus eingezogen! Genauer: in sein Gästehaus. Auch komfortabel [Oh ja, stimmt er zu]. Das Einstein Forum in Potsdam hat Sie zusammen mit der Daimler und Benz Stiftung in Berlin zum Einstein-Stipendiaten 2021 gewählt - oder besser: auserwählt. Herzlichen Glückwunsch! Wie fühlt sich das an für Sie?

[Strahlt] Oh, vielen Dank! Ich bin sehr dankbar dafür, dass man mich ausgewählt hat. Das war ein sehr unkonventionelles Auswahlverfahren, weil man nur eine überzeugende Projektidee brauchte, keinen Doktortitel. Wissenschaftler, Künstler, Musiker und jeder, der ein ausgefallenes Forschungsvorhaben hatte, konnte sich bewerben. Also, nochmal herzlichen Dank an das Forum und die Foundation!

Wie hart war das Auswahlverfahren für Sie - angesichts der vielen Mitbewerber weltweit?

Es war schon sehr hart. Und ich habe auch nicht geglaubt, dass ich es schaffen würde, denn ich habe ja keinen Doktortitel, viele andere Bewerber schon, darunter auch berühmte Philosophen, solche, deren Bücher ich gelesen hatte. Aber man hat sich meine Publikationsliste angesehen [die sehr eindrucksvoll ist, werfe ich ein. Charmant, kontert er] und so hat man mir eine Chance gegeben. Trotzdem: Es gab starke Mitbewerber! Und ein Interview, und auf dieser Basis hat man mich schließlich genommen.

Wie haben Sie überhaupt vom Einstein-Stipendium in Deutschland erfahren?

Schon in meiner Kindheit war ich sehr an Einsteins Schriften interessiert. Einstein war für mich ein Synonym für Deutschland, jeder weiß, er ist hier geboren und hat viele gute Jahre hier verbracht. Und dann bin ich auf Einsteins Sommerhaus gestoßen und das Einstein Forum, das Stipendien an Wissenschaftler vergibt, die hier im Sommerhaus wohnen können.

Nun haben Sie sich ja für eine Weile, genauer gesagt für ein halbes Jahr, in Caputh einquartiert, in diesem kleinen verschlafenen Dorf an der Havel, in einer wirklich entlegenen Ecke Deutschlands. Was zum Teufel tun Sie hier draußen, den lieben langen Tag lang?

[Lacht] Nun ja, man kann in der Einsamkeit eine Menge auf die Beine stellen, ohne Anschluss an Menschen. Ich kenne ja das Stadtleben von dort, wo ich herkomme, aber hier ist es was ganz anderes, völlig still, geräuschlos, mitten im Wald. Ich habe so viel Raum um mich herum, da komme ich zur Ruhe. Hier kann man doppelt so viel Arbeit bewältigen, anders als in der hektischen Stadt, wo man vorangetrieben wird wie auf einem fahrenden Zug.

Also, was ich hier mache, ist morgens aufstehen, einen Gang durch den Wald machen, zurückkommen und mit der Arbeit anfangen, ich kann spüren, wie die Zeit vergeht, was ich früher nicht konnte. Und abends gehe ich mal zu einem Vortrag oder einer Konferenz in Potsdam. Oder ich treffe mich mit Leuten hier, Krystyna zum Beispiel, und manchmal besuche ich auch einen buddhistischen Tempel in Berlin.


Ein volles Programm also! Einstein lebte hier in Caputh in den wärmeren Monaten des Jahres. Er liebte Spaziergänge durch die umliegenden Wälder oder entlang der Havel. Sind Sie auch ein Freiluftfreak?

Oh ja [atmet tief durch]. Es ist so wunderbar hier, ich treffe Bäume an, die sind wie Menschen. Ich verbringe viel Zeit mit ihnen und anderen botanischen Lebensformen. Sie sprechen alle zu mir.

Das Einstein-Stipendium wird an "herausragende junge Denker" vergeben, unter 35 Jahren, die jenseits ihres bisherigen Interessensgebiets forschen wollen. Könnten Sie für meine Blog-Leser ohne naturwissenschaftliche Vorkenntnisse in wenigen einfachen Worten erklären, worüber Sie bisher geforscht haben?

Ok [überlegt kurz]. Also, ich arbeite vorwiegend interdisziplinär, das heißt, ich schaue über meine Fachgrenzen hinweg auf andere Fächer. In allen meinen Projekten bringe ich sechs oder sieben Fachbereiche zusammen. Das ist der Gang der Wissenschaften heute, sich mit anderen Disziplinen zu vernetzen. Ein Biologe wie Charles Darwin [1809-1882] konnte in seiner Forschung noch ohne Computer und mathematische Kenntnisse auskommen. Aber das ist für einen heutigen Biologen unvorstellbar, er muss profunde Kenntnisse aus verschiedenen Fachgebieten haben.


Für mich stand immer fest, dass man als Forscher ganzheitlich arbeiten muss. So befasst sich meine erste Veröffentlichung mit der Vorstellung von Raum und Zeit [Space and Time] - das war auch Einsteins Forschungsgebiet, aber aus unterschiedlichen fachlichen Blickwinkeln. Raum und Zeit sind Begriffe, die für einen Biologen etwas anders bedeuten als für einen Mathematiker oder Computerspezialisten oder Filmemacher. Wo ist ihre Schnittmenge? Kann ein Mathematiker mit einem Sprachwissenschaftler in einer Cafeteria zusammensitzen und sich über Raum und Zeit unterhalten? Diese Frage hat mich auf meinen Forschungsweg gebracht. Auch in meinen anderen Projekten bin ich ganzheitlich vorgegangen. Etwa über den bekannten Spruch "Die Landkarte ist nicht das Gelände", was soviel bedeutet wie: das Modell von Wirklichkeit ist noch nicht die Wirklichkeit selbst.


Und womit beschäftigen Sie sich in Ihrem neuen Forschungsprojekt, mit dem Sie hier in Caputh als Einstein-Stipendiat beschäftigen? Es soll ja etwas Neuartiges sein.


Ich arbeite an zwei Projekten.

Das erste handelt vom Zusammenspiel von Materie und Kontext [Content and Context], von einer begrenzten und einer ganzheitlichen Betrachtung von Dingen in unserer Welt.


Nehmen wir zum Beispiel mal einen Orkan. Aus einem begrenzten Blickwinkel betrachtet, materiell gesehen, ist ein Orkan eine strukturierte Form aus feuchter Luft und Wasserdampf. Ganzheitlich gesehen, d.h. im Kontext eines Ökosystems betrachtet, bedeutet ein Orkan vieles mehr: mit seinen Auswirkungen auf die Umwelt mit Meer und Küste, Flora und Fauna sowie die Menschen in ihrem Lebensraum.

In meinem zweiten Projekt beschäftige ich mich mit einem Thema aus unserem alltäglichen Leben - mit Wörtern und Welten [Words and Worlds]. Es geht darum, wie unsere Sprache unsere Wahrnehmung von Wirklichkeit beeinflusst, und umgekehrt, wie die Welt um uns herum unsere Sprache prägt. Ich untersuche vor allem Metaphern [sprachliche Bilder] und Analogien [Vergleiche zwischen zwei unterschiedlichen Bereichen]. Metaphern und Analogien kommen in der Sprache der Wissenschaften vor, in der Dichtung und eigentlich auf allen Ebenen unseres Denkens.

Analogien, sagen Sie? Das ist eine gute Überleitung zu unserem nächsten Gesprächsthema.


Als Frau Kauffmann mir dieses Interview mit Ihnen in Aussicht stellte, bin ich im Internet auf Ihren Blog gestoßen: "Maitri for all", "Loving kindness for all"

["Liebenswürdige Freundlichkeit zu allen"].


Darf ich aus einem Blog-Beitrag von Ihnen zitieren? Er handelt von Ameisen, diesen winzigkleinen, zerbrechlichen Kreaturen, den Menschen sehr ähnlich. Sie schreiben, Ameisen wurden in Ihrer Kindheit und Jugend Ihre besten Freunde. Ich zitiere:

"Manchmal, wenn ich eine Ameise aufhob, um sie zu retten,

habe ich sie am Ende umgebracht,

weil ich sie zu hart angefasst habe, obwohl ich dachte,

dass ich sie so sanft wie möglich berührt hatte."

Wie hat sich diese Erfahrung auf Sie als junger Mensch ausgewirkt?

Oh, Sie haben meinen Blog gelesen [seine Augen leuchten]! Ich bin echt froh, dass Sie mir diese Frage stellen. Also, ich habe Ameisen wirklich lange beobachtet und erkannt, dass sie so wie wir Menschen sind, da gibt es keine Grenze zwischen beiden. Ihr Verhalten ist eine Analogie, es entspricht auch unserem menschlichen Verhalten.


Ein Beispiel: Eines Tages wollte ich eine Ameise aus dem Wasser retten und habe sie dabei umgebracht, das wollte ich doch gar nicht. Das hat mich sehr traurig gemacht, ich dachte, du musst noch sanfter und rücksichtsvoller werden. Nicht nur gegenüber Ameisen. So haben mich die Ameisen Mitgefühl gelehrt, auch Menschen gegenüber. Wenn du nicht imstande bist eine kleine Ameise zu retten, wie kannst du dich dann um Menschen kümmern?! Auch Ameisen sprechen eine Sprache. Wir müssen sie lernen. Und analog: Wie können wir am Leben anderer Menschen Anteil nehmen, mit ihnen zusammenarbeiten, ohne ihre Sprache zu sprechen?


So haben Sie Ihr Kindheitserlebnis mit den Ameisen analog auf Ihren Umgang mit Menschen übertragen - unglaublich sensibel! Und viel später Analogien zu einem weiterreichenden Forschungsansatz für Ihr Stipendium gemacht. Ich glaube, unsere Leser wüssten bestimmt gerne mehr darüber, wie es für Sie war, als Junge in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren in Indien aufzuwachsen. Geben Sie uns ein paar Einblicke in Ihr Leben mit Ihrer Familie, in der Schule?

In Indien aufzuwachsen ist ganz anders als in Deutschland. In Indien mit seinen vielen Einwohnern, das ist wie auf einem Ameisenhügel, alle sind emsig. Was ich mir wünschte, ist, dass die deutsche Regierung ihre Bürger zum Austausch nach Indien schicken würde und sie dort eine Zeitlang leben könnten. Hier in Deutschland bekommt man so viel Unterstützung: Krankenversicherung, Sozialhilfe und mehr. Wenn Deutsche dann zurückkommen, wären sie bestimmt sehr dankbar für die vielen staatlichen Hilfen, die sie in ihrem Land erhalten. Das alles gibt es in Indien nicht.


Jetzt zu meiner Kindheit: Ich bin in einer Kleinstadt aufgewachsen, ohne Bücherei und dergleichen. Meistens war ich für mich allein, spielte mit den Ameisen und habe alles an Büchern gelesen, was ich ergattern konnte. Mein Vater hat mir viele Bücher besorgt, aber ich wollte mehr davon. So ging ich ins Internet Café, etwa 1 km von meinem Elternhaus entfernt, und konnte mich dort eine Stunde lang beschäftigen. In dieser Zeit habe ich mir alles über Google angesehen, was ich lernen wollte, aber Google war nur auf Englisch. Also habe ich zunächst in meiner Muttersprache einen Suchbegriff von Google ins Englische übersetzen lassen und dann mit dem englischen Wort nach Informationen gesurft. Vor allem habe ich Englisch gelernt! Und dann habe ich mit einem Studenten an der Columbia Universität in New York City, der eine ID für die Bibliothek hatte, zusammengearbeitet, irgendwie. Das ging so: Er hat mir Auszüge aus Büchern, z.B. über die Relativitätstheorie Einsteins, im PDF-Format online geschickt und dafür habe ich seine Hausaufgaben in Mathematik gemacht, in Differenzial- und Integralrechnung, was ich mir selbst beibringen musste, mit Büchern aus der örtlichen Bibliothek, weil ich das in der Schule noch nicht hatte. Der Student ist heute Professor an einer bekannten US Universität an der Ostküste. Aber ich habe damals trotzdem etwas gelernt, nämlich dankbar zu sein für das, was man von anderen bekommt. Nehmen und geben! Der Zugang zu Büchern war für mich ein Traum. Wenn ich Bücher um mich herum habe, bin ich zufrieden und glücklich. Mein Vater hat immer eines betont: Wenn du nicht lesen kannst, keinen Erfolg im Leben hast, ist das OK. Aber sei ein guter Mensch, immer, und hilf anderen.

Tuschezeichnungen von Shyam Wuppuluri - www.shyam-wuppuluri.com/art

Sie sind ein junger Mann mit vielen Talenten, Shyam. Und Einstein war es auch ;-)! Er spielte Geige, liebte das Segeln, rauchte eine kalte Pfeife [Ich rauche nicht, wirft Shyam ein. Gute Nachricht, gebe ich zurück].

In Ihrem Blog und auf Ihrer Webseite habe ich auf wahre Schätze entdeckt: herrliche Fotografien, Gedichte und sogar Kunstwerke. Viel mehr als Otto Normalverbraucher von einem akademisch begabten Mann wie Ihnen erwarten würde! Besonders Ihre japanischen Tuschezeichnungen mit Vögeln und Pflanzen und Menschen haben mich stark angesprochen. Wunderbar! Wie kommt es, dass Sie diesen Spagat zwischen Naturwissenschaft und Kunst suchen - und schaffen?



Ich bin selbst überrascht. Ich wusste lange nicht, dass ich zeichnen konnte. Eines Tages hörte ich, dass die beste Malerei oder das beste Gedicht ein Schnappschuss von der Wirklichkeit ist. Das stimmt. Wenn wir völlig ruhig und gelassen sind und die Wirklichkeit beobachten, was auch immer wir schreiben oder zeichnen: das sind Meisterwerke, Blitze ins Universum. Wir sprechen mit Bildern, wir sprechen mit Gedichten, zu anderen.


Forscher sind einsame Menschen [Oh yeah, höre ich]. Dennoch: Welche Unterstützung bekommen Sie von anderen bei Ihrem Projekt? Zum Beispiel von den Universitäten in Potsdam und Berlin hier ganz in der Nähe?

Das Einstein Forum in Potsdam hat mich immer freundlich empfangen. Ich kann dort die Bücherei nutzen und alles andere auch. Sie sind alle außerordentlich behilflich, wenn ich sie um etwas bitte, Susan Neiman vom Vorstand oder Forscher wie Mischa Gabowitsch and Mitarbeiter wie Goor Zankl. Doch sonst arbeite ich selbstständig im Einsteinhaus, übers Internet.


Aber das größte Geschenk war, gute Menschen kennenzulernen, vor allem Krystyna Kauffmann. Mit ihrem Humor und ihren Geschichten aus ihrem langen Leben hat sie mir meinen Aufenthalt hier wirklich versüßt. Wissen Sie [zögert], Caputh ist ein kleines Dorf, die Einwohner haben mich erst wie einen Fremden vom andern Stern angesehen. Sie waren wohl noch nie einem Inder begegnet. Am Anfang, wenn ich ihnen im Dorf entgegen kam, habe ich das gemerkt. Aber dann lernte ich Krystyna kennen, sie hat mich eingeladen, ist mit mir in Museen und Galerien gegangen. Sie ist ein warmherziger Mensch. Viele Menschen in Deutschland sind dies. Aber auch sehr direkt in dem, was sie sagen. Auf Leute wie mich aus Asien könnte das zunächst unhöflich wirken. Doch sehr bald habe ich festgestellt, dass diese Direktheit eigentlich besser ist: Man braucht nicht lange um den heißen Brei herumzureden. Das macht das Zusammenleben einfacher. Und wenn man wirklich Hilfe braucht, die Deutschen geben sie dir, ganz direkt, ohne viel zu fragen. Das finde ich wunderbar.

Ich kann mir gut vorstellen, wie Sie in Einsteins Gartenhaus leben und arbeiten, ganz auf seinen Spuren. Und ein Zitat von Einstein geht mir gerade durch den Kopf. Er war wie Sie auch bescheiden, hat sich nichts auf seinen Erfolg eingebildet. Er sagte:

"Ich habe keine besondere Begabung, ich bin nur leidenschaftlich neugierig."

Wann kam die Neugier in Ihr Leben?

Tja, die Neugier entstand mit dem ersten Radio, das mein Vater kaufte, als ich noch klein war. Elektronische Geräte kamen damals bei uns gerade erst auf. Ich fand das lustig, da sprach jemand drinnen im Gerät, und als Kind dachte ich immer, da wohnt auch jemand drinnen. Aber mein Vater erklärte mir, dass der Radiosprecher weiter weg lebte. Das konnte ich mir gar nicht vorstellen. Eines Tages, als meine Eltern mal außer Haus waren, beschloss ich, den Radioapparat auseinanderzunehmen. Mit einem Schraubenzieher. Und habe ein furchtbares Chaos angerichtet. Ich wusste nicht, wie ich die Teile alle wieder zusammensetzen konnte. Und weitergekommen war ich auch nicht in meiner Erkenntnis.


Also, Neugier ist ein wunderbares Instrument, um etwas herauszufinden, ist aber mit Vorsicht zu gebrauchen. Wenn wir zum Beispiel aus Neugier jemandem Fragen stellen, sollten wir behutsam mit diesem Instrument umgehen und nicht versuchen, in einen Menschen einzudringen, gewaltsam, wie ich es mit dem Radio tat. Zu viel Neugier kann auch zerstören. Wir sollten uns immer fragen, wie jeder Wissenschaftler auch: Wenn ich Wahrheit entdecke, was mache ich damit? Was ist der Nutzen meiner Entdeckung, der Mehrwert für die Gesellschaft? Lasst uns doch alles mit compassion, Mitgefühl, machen.

Einstein liebte Segeltouren im Sommer, nicht als Skipper, sondern als Passagier auf seinem eigenen Boot. Und die Sommermonate in unserer Seenlandschaft sind großartig, kann ich Ihnen sagen. Haben Sie Freizeitpläne für die kommenden Wochen?

Nicht wirklich. Ich lebe in diesem Rhythmus von Arbeit und Freizeit. Ich teile mir meine Zeit ganz genau ein, in Scheibchen: total in Arbeit versinken und ebenso total entspannen. Der Wechsel ist wichtig, zwischen wichtigen und kleinen Dingen, zwischen Kopfarbeit und Hausputz oder kreativer Arbeit und Gemüse schnippeln zum Beispiel. Ein guter Mix von Arbeit und Nichtstun. Das belebt mich.


Es gibt noch andere schöne Gegenden in Deutschland, die man besuchen kann: die Küsten im Norden, die Berge im Süden. Werden Sie neugierig?

[Lächelt] Ich weiß noch nicht. Zur Zeit ist das Wichtigste für mich, in den Wald zu gehen, gleich hier vor meiner Haustür. Wälder sind so typisch deutsch. Das mag ich sehr. Spaziergänge durch den Caputher Wald geben mir Kraft.


Wie viel Zeit bleibt Ihnen noch hier in Deutschland?

Ende März gehe ich zurück nach Indien, leider. Aber ich wünsche mir sehr, dass ich wiederkommen kann. Denn Deutschland ist wirklich vielversprechend, hier werden die Künste und die Wissenschaften hoch geschätzt und gefördert, das trifft man woanders nicht in dieser Weise an.


Das Einstein Forum und die Daimler and Benz Foundation erwarten mit Spannung Ihren öffentlichen Forschungsvortrag am Ende Ihres Aufenthalts. Wann soll das stattfinden?

Im Februar.


Sind wir eingeladen, Frau Kauffmann und ich, als interessierte Zuhörerinnen?

Keine Frage! Sehr gern.

Unsere Zeit ist fast zu Ende, fürchte ich. Sie sind so ein toller Mensch, Shyam, und ein großartiger Einstein-Stipendiat:

a jolly good fellow, wie die Engländer zu besonderen Anlässen singen, and a great Einstein fellow.

Ein echtes Vorbild für die junge Generation. Wie würden Sie junge Menschen in Schwielowsee und darüber hinaus ermutigen, die gerade ihre Ausbildung oder ihr Abitur machen und Pläne für ihre 20er-Jahre schmieden? Was raten Sie ihnen?

[Nachdenklich] Das ist nicht einfach zu beantworten. In Indien arbeite ich als Lehrer mit Kindern und Jugendlichen zusammen. Es ist nicht entscheidend, welches Lern- und Lesepensum sie bewältigen, sondern was und wie viel sie entdecken. Für sich. Niemand sollte sich von der heutigen Mediengesellschaft überwältigen lassen. Einzigartig sollten junge Leute sein, unverkennbar sie selbst, die Ruhe bewahren, zu sich selbst kommen in der derzeitigen Informationsflut durch elektronische Medien. Wie Sie und ich auch, wir sind ja im Herzen jung geblieben.


Ich danke Ihnen herzlich für dieses sehr persönliche Gespräch, Shyam. Ich weiß Ihre Offenheit sehr zu schätzen ... und Ihre "liebenswürdige Freundlichkeit".

Es war ein Vergnügen und eine Bereicherung für mich, mit Ihnen zu sprechen, Hilda. Love and peace - Liebe und Frieden, das wünsche ich Ihnen!


Das Interview ist zu Ende, nicht aber unser Gedankenaustausch.


Shyam schlägt vor, gemeinsam durch Caputh bis zu seiner Einstein-Unterkunft zu spazieren und im Schwielowschwatz weiterzumachen.



Lesen Sie mehr darüber in diesem Blog:

"Naturfreak und Forschergeist - Shyam Wuppuluri in Caputh.

Mit dem Einstein-Stipendiaten 2021 über Stock und über Stein"



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