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„Hungrig auf Kultur“ – Besucherströme zur Ausstellung des Malers Gerhard Graf

Aktualisiert: 13. Juli 2021

MUSEUM DER HAVELLÄNDISCHEN MALERKOLONIE IN FERCH



Ein Kulturangebot der besonderen Art präsentiert der Reformationstag 2020: Zwei Tage vor dem erneuten, zunächst vierwöchig geplanten Kulturlockdown öffnet das Museum der Havelländischen Malerkolonie in Ferch eine Ausstellung mit Werken des Malers Gerhard Graf (1883–1958). Im Vorhof lockt unter regnerischem Herbsthimmel weißes Segeltuch auf Ständern und Stelzen die geladenen Gäste durch die Desinfektionsschleuse auf trockene Bänke und Klappstühle zum Open-air-Empfang auf Abstand. Carola Pauly begrüßt als Vorsitzende des Fördervereins HMK die Besucher und erklärt das hohe Interesse mit dem gesundheitspolitisch bedingten langen Verzicht auf Kultur. Bürgermeisterin Kerstin Hoppe ist „unheimlich dankbar“ für das Engagement des Fördervereins mit seinen Mitarbeitern im Ehrenamt, lobt die Gerhard-Graf-Gesellschaft und private Sammler ob ihrer Leihgaben zur aktuellen Ausstellung und kündigt die Kuratorin, Professorin Jelena Jamaikina, als Kunstverständige an, die „ihresgleichen sucht“.


Wer war Gerhard Graf? Selbst für Ortskundige ist diese Frage eine Recherche wert. Das Thema der Ausstellung „Von Berlin in die Mark“ zeichnet den Weg des Malers vom Geburts- und letzten Wohnort in Westberlin nach Werder, zum Großen Plessower See (1926– 1948). Wie andere Künstler der Havelländischen Malerkolonie seit Mitte des 19. Jahrhunderts zog es Graf aus der Metropole in die Landschaft um den Schwielowsee. Die Initiatoren sehen ihr Ausstellungskonzept so: Architektur und märkische Landschaft im künstlerischen Dialog.


Als interessierter Laie - wie kann ich mich den Gemälden der Ausstellung annähern? Die Kuratorin Jelena Jamaikina öffnet den Besuchern die Augen – mit ihrem kunstverständigen Exkurs. Gerhard Graf steht biografisch an einem kunstgeschichtlichen Scheideweg. Die jahrtausendalte Gattung der Architekturmalerei, die im 18. Jahrhundert in Canalettos venezianischen Stadtansichten gipfelt, erhält um 1830 Konkurrenz durch die Fotografie.


In den nachfolgenden Kunstepochen bleibt das Motiv Stadtarchitektur zwar erhalten, doch eher als Rohmasse, die Maler verfremdend gestalten: Impressionisten wie Monet, Kubisten wie Picasso oder Surrealisten wie DeChirico. Graf entscheidet sich gegen die experimentelle Malerei. Sein Stil will das Prägnante in Städtebildern hervorheben, bei gleichzeitig hohem Wiedererkennungswert. So dokumentieren Grafs Architekturbilder für heutige Betrachter oft Sehenswürdigkeiten vor deren Zerstörung im Zweiten Weltkrieg.


Die Kuratorin entlässt die Besucher – mit anständigem Abstand – in die Ausstellungsräume und mit einem vielsagenden Lächeln: „Achten Sie auf die Komposition der Bilder! Und suchen Sie das Prägnante in jedem Bild!“ Von den ca. 750 verzeichneten Werken Grafs sind im Museum etwa drei Dutzend Städtebilder ausgestellt: von Werder, Potsdam und Berlin, von europäischen Metropolen und US-amerikanischen Städten.



„Das Prägnante“ suche und finde ich im Berliner „Stadtschloss vor 1923“: Die strahlend helle Hohenzollern-Residenz nach Abdankung des letzten deutschen Kaisers in der oberen Bildhälfte, davor auf flimmernder Wasseroberfläche dunkle Kähne auf dem Spreekanal mit Arbeiterbesatzung in ihrem Alltagsgeschäft. Geteilt und zugleich verbunden werden beide Bildbereiche – Majestät und Volk – durch die Schlossbrücke mit ihren geschäftigen Passanten und den hoch aufragenden Marmorskulpturen auf den Brückenpfeilern: Krieger und Siegesgöttinnen, hier gesichtslos, vom Betrachter abgewandt dargestellt. Monumente einer versunkenen Staatsform? Die neue Republik zu Weimarer Zeiten perspektivisch vom Maler um 1920 ins Bild gerückt?


Und hundert Jahre später: Nach Zerstörung und Abriss des Hohenzollernpalastes eröffnet das wiedererrichtete Berliner Schloss mit historischen und modernen Fassaden als Humboldtforum seine Tore allen Bürgerinnen und Bürgern. Grafs Bildkunst erfährt eine zeitgemäße Aktualisierung.


Zwischen den beiden Weltkriegen war Graf, Kunstlehrer (1907– 1938) mit Kunstausstellungen in Berlin, vor allem Weltenbummler. Die deutschsprachige „New-Yorker Staats-Zeitung“ entdeckte 1927 unter den Passagieren der „Berlin“ den „berühmten deutschen Maler“. Hansjürgen Bals, Vorsitzender der Gerhard-Graf-Gesellschaft, weiß um das anhaltende Interesse an Grafs Werken auf dem Kunstmarkt bis heute: „Eines seiner Bilder ist im Oktober-Katalog des Auktionshauses Quentin in Berlin verzeichnet.“ Noch hängt das Ölbild „An der Havel“ in der Fercher Ausstellung. Carola Pauly ist optimistisch, dass die Graf-Ausstellung nach dem stillen November im Dezember wieder Fahrt aufnimmt: „Bleiben Sie gesund und uns gewogen.“ Hilda Steinkamp


Die Ausstellung ist nach gegenwärtigem Stand bis zum 18. April 2021 samstags und sonntags von 12– 16 Uhr geöffnet. Beelitzer Str. 1, Ferch.


Erstveröffentlichung: Havelbote 11/2020,


Aktuell: Aufgrund des monatelangen Lockdowns ab dem 2. November 2020 wird die Ausstellung bis zum 31. Juli 2021 verlängert.

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