Kathrin Freundner bringt ihr neues Projekt auf den Weg - eine belebende Aussicht in ereignisarmen Corona-Zeiten
Botaniker mit Weitblick
"Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen", so predigte Martin Luther - zumindest der Überlieferung nach.
Ganz so dramatisch weiht mich Kathrin Freundner nicht in ihr jüngstes Kommunalprojekt ein, als ich mit ihr Anfang Dezember 2021 bei Frost und Sonne über ein 5.000 qm großes Areal stapfe, an der Kreuzung Schmerberger Weg / Panoramaweg / Spitzbubenweg am südwestlichen Ende von Caputh.
Einst bewirtschafteten auf diesem Gelände Caputher ihre Obstgärten, mit Jauch- und Dunggruben, die inzwischen überwuchert sind. Doch schon seit geraumer Zeit liegt das Grundstück brach. Seitdem leben hier in wildwüchsiger Eintracht Kultur- und Naturpflanzen, Überreste aus der alten Caputher Obstkultur und vom Winde Verwehtes. Und aus dieser Wildnis soll nun eine Streuobstwiese werden, mit ordnendem Eingriff von Menschenhand botanisch gestaltet und gärtnerisch genutzt.
Wer zündete die Idee?
Kathrin Freundner an erster Stelle - mit ihrem sozialengagierten Augenmaß für Notwendiges, Machbares und Durchsetzbares in dem Ortsteil, in dem sie 2020 zur Ortsvorsteherin gewählt wurde. Gleich im ersten Jahr ihrer Amtsführung gründete sie die Arbeitsgruppe "Streuobstwiese", zusammen mit Dr. Andreas Bergner, Thomas Dallorso und Renate Polzin.
Pate gestanden hat für ihr Streuobstwiesen-Projekt der Langerwischer Obstgarten e.V., den Justus Mayser seit 2016 aus bescheidenen Anfängen auf 700 qm zu respektabler Größe und Wirtschaftlichkeit geführt hat.
Heute zieht Kathrin Freundner gestiefelt und mit einer Amboss-Astschere ausgerüstet über das unwegsame Terrain.
"Als Ortsvorsteherin von Caputh werde ich natürlich dafür sorgen, dass die Interessen unseres Ortsteils in der Gemeinde nicht zu kurz kommen", verkündet sie in einem Interview mit Karl Günsche, das dieser für den Havelbooten führte (05/2020, S. 6). Ihrem Engagement können Caputher es verdanken, dass es seit November 2021 für das Wiesengrundstück eine Nutzungsvereinbarung mit der Gemeinde Schwielowsee gibt und diese das Grundstück für ein Jahr für die weitere Planung forstwirtschaftlicher Zwecke zur Verfügung gestellt hat. Innerhalb dieser Jahresfrist ist es die Aufgabe des Ortsbeirats Caputh, einen Verein als Betreiber der Projekts "Streuobstwiese" zu finden, der das junge Pflänzchen zum Wachsen und Gedeihen bringt.
Und Corona hatte natürlich auch einen Einfluss aufs Projekt - diesmal einen unerwartet produktiven! Das Virus dämpft unsere Gemüter bereits im zweiten Jahr, die politischen Maßnahmen zu Pandemieeingrenzung drängen kleine und größere Betriebe an den Rand des Ruins und isolieren Menschen erneut durch soziale Distanznahme und Kontaktbeschränkungen. Klar, es gibt kein Darben wie zu Luthers Zeiten, als Menschen über Jahrzehnte hinweg in ständiger Angst vor Hunger, Krieg und Krankheit lebten. Immerhin hat uns die virologische wie politische Wirrnis unserer Zeit neben Kuriosa wie dem Corona-Abstandswarner als Vibrator-Variante (!) den Neologismus "systemrelevante Unternehmen" beschert, dadurch Supermärkte vor dem Lockdown bewahrt und unsere langfristige Lebensmittelversorgung auch in Krisenzeiten gesichert.
Aber die Stimmung im Dorf könnte lebensbejahender sein, die Bevölkerung unbeschwerter in die Zukunft schauen. Und genau hier setzt die Ortsvorsteherin mit ihrem Streuobstwiesen-Projekt an: "In Caputh aufwachsen zu können, ist einfach ein Geschenk, damals wie heute", so erklärt sie im Havelbooten-Interview vor eineinhalb Jahren, und sie gibt mir bei unserem Ortstermin auf der noch unbewirtschafteten Streuobstwiese zu verstehen, dass diese Lebensqualität ihren Caputher Bürgerinnen und Bürgern auch erhalten bleiben soll.
Mit Augenmaß
"Schau mal her", deutet Kathrin Freundner auf einen Geländeabschnitt mit frischer Baumfällung, "diese Birken und andere Baumarten sind schon von uns gefällt worden, alles Maßnahmen im Rahmen der brandenburgischen Baumschutzverordnung. Diese Bäume sind untermäßig, was den Stammumfang anbelangt, und dürfen geschlagen werden." Viele haubare Bäume stehen noch, sie werden aber auch noch weichen müssen, damit der Altbestand an Obstbäumen wie die neue Anpflanzung genügend Licht, Luft und Bodennahrung erhält. Auf diese Weise wäre die zulässige gartenwirtschaftliche Nutzung des Grundstücks gesichert.
An anderen Stellen zeigt mir meine Wegbegleiterin die Wiederverwendung der gefällten Baumstämme: "Unsere Arbeitsgruppe hat in gemeinschaftlicher Kraftaktion die Stämme auf einheitliche Länge gesägt und in den Boden gerammt - als Zaunpfähle." Der Maschen- und Stacheldraht, der zum Teil einfach auf dem bis dato offenen Urwald-Gelände von Unbekannt entsorgt wurde - zusammen mit botanischen Abfällen und haufenweise Hausmüll - konnte ebenfalls sinnvoll als Zaunmaterial weitergenutzt werden. Die Ära der wilden Mülldeponie ist mit der Einzäunung hier vorbei!
"Aus den Zweigen und dünneren Ästen der gefällten Bäume haben wir Schutzwälle errichtet", setzt Kathrin Freundner ihren Lehrgang fort, "ein sicherer Unterschlupf für Insekten, Vögel und Tiere. Und selbst das Totholz bekommt neues Leben", strahlt sie, während sie hier und da mit der Astschere neues Material abschnippelt, "aufgestapelt zum Insekten-Hotel oder Igel-Quartier."
Eine totgeglaubte uralte Wildrose, deren gespaltener Stamm sich mit demütiger Gebärde auf die Erde neigt, hat aus der Berührung mit dem Erdreich neue Kraft gewonnen und dort frische Wurzeln geschlagen. "Die bleibt!", verkündet die Ortsvorsteherin selbsterklärend.
Botanische Schönheit überzeugt auf Anhieb!
Lyrische auch:
Ein Männlein steht im Walde
Ganz still und stumm.
Es hat von lauter Purpur
Ein Mäntlein um ...
Das Männlein steht im Walde
Auf einem Bein
Und hat auf seinem Haupte
Schwarz Käpplein klein ...
Der Mann, der auch die deutsche Nationalhymne schrieb, Hoffmann von Fallersleben, konnte mit diesem Liedtext auch Kinderohren erreichen und ihre Augen für die Wachstumsstadien der Rose im laufenden Jahr öffnen.
Also vielleicht auch ein Naturlehrpfad für Nachwuchsbotaniker auf der Streuobstwiese?!
Überall auf dem weitläufigen Grundstück entdecke ich Kostbarkeiten: einen vom Hopfen überwucherten Stamm als Baumskulptur, einen Haselnussbaum, eine Brombeerhecke.
Und einen Reichtum an alten Obstbäumen: Birne, Apfel, Pflaume, Kirsche, Aprikose.
"Der Altbestand an Obstbäumen bleibt,
sofern wir noch Leben in Ästen und Zweigen entdecken",
garantiert Kathrin Feundner.
"Die Einzigartigkeit unserer Heimat hat es verdient, sie zu bewahren, behutsam wachsen zu lassen und mit Augenmaß zu gestalten" (www.kathrinfreundner.de/ueber-mich)
Dieses Versprechen der Caputher Ortsvorsteherin ist weit mehr als weltweit verteilte Worte im Internet. Auf unserem Erkundungsgang über die Streuobstwiese wird es in ersten sichtbaren Taten wahr.
Wer ist eingeladen zum "Streuobstwiesen"-Projekt?
Zunächst ein Verein, der sich federführend und rechtlich wie wirtschaftlich verantwortlich um das Projekt kümmern will.
"In diesen wegen Corona schwierigen Haushaltszeiten", weiß Kathrin Freundner, die auch für den Caputher Haushalt zuständig ist, sind auch Sponsoren hochwillkommen.
Zeitlich in Rangfolge zwei, keineswegs aber an nachrangiger Stelle sind die Bürgerinnen und Bürger aus Caputh und darüber hinaus angesprochen, die zukünftig einen Baum kaufen, pflanzen und pflegen wollen - und können. Kann man lernen. Botanischer Beistand durch die Betreiber inklusive! Natürlich dürfen Baumeigner und Baumpaten auch die Obsternte einfahren. Und verwerten. Gern auch gemeinsam im Verein. Zeit und Freude sollten Hobby-GärtnerInnen mitbringen, um bei gemeinschaftlichen Arbeiten wie Festen auf der Wiese mitzumachen.
Pfarrer Thieme von der Evangelischen Kirchengemeinde Caputh weiß zum Beispiel von dem Brauch, zu Familienfesten wie Hochzeit, Taufe, Konfirmation oder Jugendweihe einen Baum zu pflanzen. Dies könnte bald auch auf der frisch gestalteten Caputher Streuobstwiese zur beliebten Tradition werden. Der Ortsbeirat denkt auch an eine öffentliche Nutzung der Wiese, etwa mit freien Picknickplätzen für Gruppen und Familien.
Aussichten
Etwas Lebendiges auf der Streuobstwiese gestalten zu können, in und mit der Natur in wechselnden Jahreszeiten zu leben, die Wiesen-Gemeinschaft zu genießen - die Gartenarbeit soll Caputher Bürgerinnen und Bürgern einen Ausgleich für triste Pandemiezeiten bescheren.
"Stolz bin ich darauf, dass weder die 100-jährige Lindenallee in der Caputher Straße der Einheit der Kahlschlagpolitik zum Opfer gefallen ist, noch Wasserflieger die Ruhe über dem Schwielowsee stören", sagte Kathrin Freundner zum Jahreswechsel 2020/2021. Hinzu gekommen ist seitdem ihr Einsatz für die "1. und 2. Bürgersolaranlage von Caputh", für "sichere Schul- und Radwege", für "ausreichende Kitaplätze und eine weiterführende Schule in unserer Gemeinde" (www.kathrinfreundner.de/ueber-mich). Niemand, der Zweifel daran hätte, dass Kathrin Freundners jüngstes Projekt "Streuobstwiese" eine blühende Landschaft wird!
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Für den 8. Januar 2022 ist ein weiterer Arbeitseinsatz der Arbeitsgruppe "Steuobstwiese" auf dem Gelände geplant. Wer sich selbst ein Bild machen will von den anstehenden Aufgaben wie vom Potential des Areals, kann gern vorbeischauen und das Projekt im Entstehen miterleben.
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