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  • AutorenbildHilda Steinkamp

Spanisches Sommerflair in der Waldbühne

Aktualisiert: 30. Aug. 2022

Star-Pianist Lang Lang gastiert, Daniel Barenboim dirigiert das West-Eastern Divan Orchestra

Zwischen Tag und Traum

Am späten Nachmittag des 13. August 2022 lockt das Waldbühnenkonzert die Menschen weg vom heißen Wochenendgrill in die ähnlich temperierte Arena von Berlins größter Open-Air-Bühne am Stadtrand in Westend.

Foto: https://de.wikipedia.org/wiki/Berliner_Waldb%C3%BChne

Ein architektonisches Geschenk im Zuge der Baumaßnahmen für die Olympischen Spiele 1936, profitiert die Freilichtbühne mit dem schlichten Namen Waldbühne (seit 1950) vom natürlichen Talkessel zwischen Murellenberg und Pichelsberg, an dessen Hang die Zuschauerränge hochgebaut wurden. Die Illusion eines antiken griechischen Theaters stimmt bis heute die Zuschauer auf ein musisches Erlebnis der besonderen Art ein: Rock, Pop, Klassik der Extraklasse - alle Musikrichtungen sind vertreten.

Heute also Klassik. Das West-Eastern Divan Orchestra unter Leitung von Daniel Barenboim wird spanisch inspirierte Musik intonieren: von Claude Debussy, Manuel de Falla und Maurice Ravel. Das klingt attraktiv genug für einen deutschen Sommerabend mit mediterranem Flair. Dem diesjährigen Star-Gast Lang Lang geht der Ruf des weltbesten Pianisten voraus. Heute Abend lässt er uns seine Meisterschaft live miterleben.

Die Arena füllt sich, die ca. 22.300 Plätze auf den schmalen Metallsitzbänken sind vielleicht nicht 100-, aber bis 19 Uhr doch hochprozentig besetzt, der Zustrom an Nachzüglern wird mit freundlicher Nachsicht abgewartet.


Die Eröffnung verschiebt sich um 15 hitzige Minuten. Fächer und kühlende Getränke vertreiben die Wärme der letzten Sonnenstrahlen und verbreiten coole Gelassenheit.




Mit den sanften Klängen zu Debussys Eröffnungsstück "Ibéria" im Licht der schwindenden Abendsonne versinken die Zuhörer zwar nicht in plüschige Konzerthaussessel, aber doch in die Traumvorstellung einer spanischen Sommernacht in Berlin.





Zwischen Kulturen und Nationen

Daniel Barenboims Sinfonieorchester ist jung, dynamisch, nicht alle sind in Festanstellung. Die Fluktuation der Talente ist gewollt. Sie stammen zu gleichen Teilen aus Israel und Palästina sowie anderen arabischen Ländern. Der Name West-Eastern Divan Orchestra ist eine Anlehnung an Goethes "West-östlicher Divan", eine poetische Auseinandersetzung mit dem Islam und dem Orient.

(c) Von "Wikimedia: Foto H.-P.Haack", <a href="https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0" title="Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0">CC BY-SA 3.0</a>, <a href="https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4588325">Link</a>

"Wer sich selbst und andere kennt Wird auch hier erkennen: Orient und Occident Sind nicht mehr zu trennen."

Dieser oder ein ähnlicher Wahlspruch aus Goethes Werk mag Daniel Barenboim und Edward Said 1999 angeleitet haben, ihr Ensemble nach des Dichters Werktitel zu benennen und mit einem musikalischen Friedensauftrag auf ihre alljährlichen Sommertourneen zu schicken: nach Berlin und über die Kontinente. Barenboim, Pianist, Dirigent und Generalmusikdirektor der Staatsoper in Berlin mit argentinisch-israelischem Ursprung, und Said, US-amerikanischer Literaturwissenschaftler mit palästinensischen Wurzeln, verstehen ihre Friedensarbeit alternativ zu den allzu oft glücklosen politischen Anstrengungen im Nahostkonflikt.

Daniel Barenboim und Edward Said - Foto: barenboimsaid.de
"Persönliche und internationale Harmonie kann es nur geben, wenn wir uns zuhören. Jede Seite, jede Partei muss die Ohren öffnen, um die Geschichten und Meinungen des anderen zu verstehen."
"Zusammenarbeit und Koexistenz ..., so, wie wir sie in der Musik gemeinsam erleben, erspielen und lieben – das ist unser Ziel."

(Barenboim und Said in: https://barenboimsaid.de/de/akademie/geschichte)


Passend zur Vision der Orchester-Gründer von einer Völkerverständigung nicht nur im Nahen Osten finden seit 2002 die Konzertproben des West-Eastern Divan Orchestra in Sevilla im spanischen Andalusien statt. In der Provinz Granada lebten jahrhundertelang bis zur beginnenden Neuzeit Juden, Muslime und Christen in freier Religionsausübung friedlich zusammen und bereicherten sich gegenseitig. Und ebenso stimmig liegt seit 2016 die Barenboim-Said-Akademie als Musikschule für Stipendiaten aus Ländern des Nahen Ostens hinter der Berliner Staatsoper mitten in der multikulturellen Metropole.


Zwischen Auftakt und Schlussakkorden

Zum Konzert des West-Eastern Divan Orchestra am 13. August 2022 strömt Berlins ethnischer Mix auf die Ränge der Waldbühne. Nahezu alle Nationen sind in Berlin vertreten, viele davon heute in der Arena zu Gast.

Mit dem Stargast des Abends, Pianist Lang Lang aus der Volksrepublik China, weitet sich der West-Eastern Divan zur globalen Dimension. Lang Lang knüpft das kulturelle Band zwischen Ost und West, als er "Nächte in spanischen Gärten" von Manuel de Falla als impressives Solo vorführt. Das geschickte Spiel seiner Hände mit Tempi zwischen andante und rapido folgt seiner inwändigen Partitur, keinen Notenblättern.

Das Publikum fällt mit begeistertem Applaus in seinen Schlussakkord ein und holt in dreimal nach Dank, Verbeugung und Abgang zurück, bis der Musiker als Zugabe den "Feuertanz" aus de Fallas Ballett "El amor brujo" (Liebeszauber) virtuos seinem Piano entlockt, das verzauberte Publikum restlos für sich gewinnt - und es dann in die 30-minütige Cool-down-Phase der Konzertpause entlässt.



Auf Spuren der spanischen Musikkultur führt Daniel Barenboim nach der Pause sein Publikum weiter. In seiner Orchesterversion klingen in den vier Sätzen von Maurice Ravels "Rapsodie espanole" Flamencotänze ebenso an wie der Wechsel von genussvoller Ruhe zu freudiger Rhythmik, wie es der spanischen Lebensart entspricht.

Zum Schluss: Ravels "Boléro" gilt als eines der meistgespielten Orchesterstücke weltweit. In Barenboims Orchestrierung ist nichts von Gewöhnung und Gewöhnlichem zu verspüren. Eine Melodie mit unveränderlichem Rhythmus und Tempo über 13 Minuten im Zusammenspiel seiner israelisch-arabischen Musikerinnen und Musiker zu einem langsamen und gewaltigen Crescendo zu führen - das ist Meisterklasse. So fühlen wohl alle in der gefüllten Musikarena. Kaum jemand hält es auf den Metallsitzen mehr aus. Die stehenden Ovationen des Publikums sind hochverdiente Anerkennung für diesen Abend, für diesen Dirigenten, für dieses Orchester.


Zur Fotoshow des "Boléro" rechts auf den Pfeil > klicken:


"Gemeinsam mit uns Musik und den Traum der Verständigung über alle Grenzen feiern!"

Daniel Barenboims Einladung für diesen musikalischen Sommerabend in der Waldbühne in Berlin hat vollen Anklang gefunden. Im konzertierten Spiel der Instrumente und Klänge Individuelles und Verschiedenes zur Harmonie zu bringen - diese Utopie funktioniert künstlerisch und kollegial in seinem Ensemble - und springt als Glück einer klangvollen Sommernacht auch auf sein Publikum über.


Zwischen 30 und 100 € ...

kosten die Tickets für ein Waldbühnenkonzert mit dem West-Eastern Divan Orchestra. Selbst auf den obersten und günstigsten Rängen sorgt die natürliche Tallage der Bühne wie die Hightech-Unterstützung für eine erstklassige Akustik. Zwei Mega-Screens rechts und links von der Bühne garantieren musische Augenweide auch aus der Fernsicht. Und € 30 kann sich fast jede/r aus dem Grillabend-Budget herausschneiden. Schließlich: Von den obersten Rängen sind die Ausgänge näher, die Wege zur S-Bahnstation Pichelsberg schneller und ein gequetschter Stehplatz im Wagon sicher, bevor die Türen wegen Überfüllung schließen. Barenboims Ensemble macht Musik für die Massen, ja, aber keine musikalische Massenware. Qualität für die vielen.


... ein Volksvergnügen für Berliner

- aller Ethnien, aller Einkommen, aller Altersgruppen (u25 bis ü80), aller Berufsstände (Verkäufer bis Politikerin), aller Gesellschaftsgruppen (Normalos bis Promis), aller Kleiderstile (legere Freizeit-Looks bis festliche Roben), aller Food-Vorlieben (Bowls bis Burger). Und aller Kenntnisgrade (Kenner, Kundige, Konzertgänger).

In der Mitte der Zuschauerränge ist Platz für Ehrengäste. In unserer Zeit nehmen dort neben Persönlichkeiten aus Kultur und Wirtschaft gewählte Volksvertreter ihre Sitze ein, am 13. August 2022 sind es die Berliner Politiker Wolfgang Schäuble, Franziska Giffey und Michael Müller. Sie kommen dezent eskortiert, unauffällig, ohne Pomp. Verblasst ist längst das Bild der einstigen Ehrenloge des Führers an dieser prominenten Stelle. Auch dies ein Zeichen der "Verständigung über alle (ideologischen) Grenzen".

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