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Radeln und Rasten am Wolken-Sonntag XXL

Aktualisiert: 3. Okt. 2021

Am 22. Fahrradsonntag mit Musik und Muße um den Schwielowsee

Die Wetterprognose für den 19. September 2021:

"Meist starke Bewölkung, niederschlags-frei und kühl.

Nur stellenweise heitere Abschnitte.

Höchstwerte 14 bis 17 Grad".

Ideales Radelwetter eigentlich. Glück gehabt! So denken Hunderte pedalbegeisterter Schwielowseer am Fahrradsonntag und schnallen Helm und Kupplung für Hunde-Cruiser oder Kinder-Buggyrad an. "60 - 70% Luftfeuchtigkeit" verspricht außerdem biomedizinische Wellness zum Nulltarif, allein per Wadenkraft. Und "schwacher, mitunter kräftiger Nordost-wind" sorgt für den nötigen Antrieb per Rückenwind oder die sportliche Herausforderung bei Gegenwind - je nach Fahrtrichtung und Fitnesspegel.

12 verlockende Stationen sind es auf der Fahrradtour von 12 bis 18 Uhr rund um den Schwie-lowsee mit seinen Ortschaften Geltow, Caputh und Ferch sowie dem benachbarten Petzow.


Das Kultur- und Tourismusamt Schwielowsee hat großartige logistische Kulturarbeit geleistet.


Alle Stationen locken mit Pro-gramm, viele mit stündlich wechselnden Angeboten: gesellig, kulinarisch, musikalisch - kurzweilig soll es werden.

Was vage an die ersten 12 beschwerlichen Stationen des christlichen Kreuzwegs erinnert, ist lediglich die Anstrengung der vielen Extra-Kilometer, die man criss-crossing zurücklegen muss, wenn man alle Highlights im oft parallelen Stundentakt in weit auseinanderliegenden Räumen miterleben will.


Ich will. Aber auch interviewen, zuhören, lauschen, lachen, Notizen und Fotos machen, durchatmen und verweilen. Also: vier Räder für mich Bloggerin am Zweiradsonntag! Ich bekenne mich zum strategisch durchdachten Genuss und zum - mittlerweile und bedauer-licherweise - nicht mehr unumstrittenen Antrieb per Brennkraft. Und dennoch werde ich automobil nicht alle Veranstaltungen zeitlich erreichen. Im Verzicht liegt Größe. Hörte ich mal. Passt heute wieder. Hier nun meine persönliche Genuss-Landkarte vom 22. Fahrrad-sonntag 2021, "Mit Musik rund um den Schwielowsee."

12:00 Uhr. Die Dorfkirche in Geltow liegt für mich ortsnah, dort fahre ich als erstes hin. Hm, Fahrradsonntag?? Parkende Autoschlangen, noch nix los hier, Eltern transportieren ihre Kinder mit schweren Instrumentenkoffern zum Schülerkonzert der Kreismusikschule Potsdam-Mittelmark. Ich warte eine Weile, werde später nochmal wiederkommen. Vier Pneus sollten es machen möglich.


Kurz noch ein paar Häuser weiter in der Geltower Handweberei vorbeischauen. Ein beschaulicher Ort, die ersten Fahrräder sind abgestellt. Kein Mittagstisch, aber leckere Kuchen-variationen im Hofcafé.


12:45 Uhr. Am Waschhaus im Schlosspark von Petzow singt die Berliner Sopranistin Ute Becker Chansons und Musicalmelodien zu Klängen von Maxim Shagaevs Bajan und Jakob Altendorfs Klarinette:

Als ich dazustoße, klingt's italienisch. Mit Ute Beckerts glockenhellem Sopran und witziger Sprechakrobatik kommt kein Mitleid auf für eine verunglückte italo-deutsche Affäre:

"Mein Spaghetti-Kavalier

hat mich bis morgens vier

zum Essen nur beschwatzt

und ich bin beinah' geplatzt ...

Er sprach: Ti voglio bene,

drohte mit ewiger Treue.

Ich hatte Durst auf Chianti

und er gab noch immer nicht nach.

Er sagte: Spaghetti, avanti,

sonst bis du für amore zu schwach ...

Ich hauchte: Caro mio,

da gab er mir sein Addio.

Dann sagte der feine Signore: Du immer noch dünne Frau.

Und dick sei der Schatz für amore. Ciao, bella, ciao!"


13:30 Uhr. Im Japanischen Bonsai-Garten in Ferch

- ein Ort zum Abtauchen: in die Ruhe und Beschaulichkeit der japanischen Garten- und Teekunst, mit bis zu 180 Jahre alten Bonsais. Tilo Dragert und seine Familie haben dieses Oase geschaffen, als sich ihnen nach der Wende auf einer Japanreise neue Horizonte öffneten. Die radelnden Besucher - nicht nur am Fahrradsonntag - schätzen den Wandel des Gartens mit den Jahren und den Jahreszeiten.


13:45 Uhr. Die Fercher Obstkistenbühne

hat gerade ihr Gartentor zugeriegelt, als ich auf heißen Reifen stoppe: für heute, für die Saison, fürs Jahr. Mit eigenen Liedern und Geschichten rund um den Schwielowsee hatten sie noch einmal kleine und große Radler unterhalten. Jetzt ist der Mittagstisch fürs Ensemble gedeckt, unter der mehr als hundert-jährigen Linde vor der Bühne. Wolfgang Protze lässt seine Frau Ingrid unter der Dusche entschuldigen ("Das muss jetzt mal sein nach unserem schweißtreibenden Bühnenspektakel!") und spricht seiner Truppe aus der Seele: "Jetzt geht's in den kreativen Unruhezustand, frische Ideen für die nächste Saison sammeln."


Freunde der "skurrilsten Bühne Brandenburgs" können sich auf was gefasst machen!



14:00 Uhr. Auf der Seewiese in Ferch

ist der Bär los: Go-Cart-Wiese, Wasserspielplatz und Hüpfburg für Kinder, Trauben hungriger Freizeitradler vor ambulanten Futterstationen. Und dazwischen: Ruheständler seelenruhig sitzend auf der Parkbank.

Buntes Treiben zu fröhlichem Swing und klassischen Jazz-Titeln der Potsdamer Dixieland Band "Alte Wache". Südstaaten-Töne aus den USA verfrachtet in die kleine Marina von Ferch! Das komm mehr als gut an!







14:30 Uhr. Im Wald Atelier in Ferch

stehen herren- und damenlose Fahrräder am Eingang. Alle Radler sind den Klän-gen der Berliner Band Ossternhagen entgegen geeilt. Auf einer (nein, nicht DER) Waldbühne auf nachhaltigem Holzboden spielt das Duo Markus Ossternhagen, alias Paulick, an der Gitarre und Scotty an der Mandoline.


Westernhagen-Lyrik dringt an mein Ohr:


"Baby, lass uns Liebe machen

für 'ne bess're Welt.

Ich will dein Mann sein

für 'ne bess're Welt!"


Fast schon ein Song zum Wahlsonntag, in einer Woche ist Bundestagswahl!


Der Strandkrebs von Fernando Perès Molinari gehört zum Dauerinventar unter den Kunst-schätzen in Marcel Krüßmanns Wald Atelier. Hier begleitet er als Bühnenrequisit mit stoischer Ruhe den eindringlichen Songtext der Band.

Ich reiße mich los, wider meinen Willen, aber im Bann meiner Handy-Zeitanzeige.


14:50 Uhr. Die Bühne auf der Festwiese im Schlosspark Petzow

bebt von ganz anderen Takten. Die Berliner Folkband Clover - Irish Folk & Celtic Rock fegt springende Geigenrhythmen über die Wiese und den Petzower See. Der Name Clover - Symbol und Programm für irische Kultur und Musiktradition.

Unbeirrbar konzentriert halten ein paar Meter weiter Schachspieler über ihren Brettern aus.


Der Countdown läuft. Mein Motor auch.

Zurück nach Geltow.




15:15 Uhr. Im Kirchhof in Geltow hat inzwi-schen das Programm gewechselt. Die Schülerkonzerte zur halben Stunde habe ich leider verpasst.

Gerade musiziert das Bläserensemble Saxomania aus Werder mit einem letzten Stück aus seinem Repertoire von Klassik, Rock und Pop. Ich ergattere Fotogelegen-heiten. Und einen Blick auf den corona-gerechten Wegweiser.


15:30 Uhr. Die letzte Musikgruppe der Kreismusikschule Potsdam-Mittelmark macht sich bereit. Wir hören Tastenspiele der Werderaner Musikschüler. Regionalleiterin Katharina Achilles begrüßt: "Die Jungs sind alle aus Werder. Aus Kleinmachnow haben wir eine junge Dame zu Gast." Moderatorin Gabriele Kwaschik stellt die Nachwuchstalente aus ihrer Klavierklasse vor, bevor sie ihre Klangkunst zeigen. Henry, 10 Jahre jung, beginnt mit einer Übung zu "Moll und Dur". Er greift tapfer in die Tasten. "Wenn man größer ist und mehr geübt hat, dann hört sich das an wie bei Josef", leitet die Moderatorin zum nächsten Tastensolisten über. Josef übt erstmal, bricht lächelnd, aber ungeschlagen ab und legt dann nochmal unverdrossen los. Carolin wagt sich an Edvard Griegs Vertonung des bekanntesten Ibsen-Dramas Peer Gynt heran und interpretiert mit Hingabe "Solveigs Lied" und "Tanzspektakel".

Mit den Zwillingen Bennet und Gerrit habe ich vorher über Bildrechte gesprochen und ihre Zustimmung zu Fotos von ihrer Aufführung gewonnen - hier spielen sie im Duett auf dem Keyboard-Klavier ein modernes Stück des US-Amerikaners Scott Joplin, bekannt als King of Ragtime: "Maple Leaf Rag". Und bedanken sich gentlemanlike mit jugendlicher Verbeugung für den Applaus des Publikums.


Mit der Fähre nach Caputh, eine kleine Himmelfahrt an diesem bewegten Sonntag.


16:05 Uhr. Die Kirche in Caputh hat ihre Türen schon geschlossen, als ich ankomme. Die Musik von Handglocken und Orgel ist längst verklungen. Auch die Caputher Liederma-cherin, Sängerin und Gitarristin Anne Fischer habe ich nicht kennenlernen können - aber eine Woche später, zur Vernissage in der SchlossGallerie Haape klappt es dann zum Glück doch. Aber davon mehr in meinem nächsten Blog.


Im U-Turn zurück zur Fähre, in der Schlange warten, erst mit der dritten Fuhre PKWs, Radler und Fußgänger klappt es über den Jordan.


16:45 Uhr zur Wiese am Gemünde, Geltower Seite

Bikers' paradise? Das und mehr! Singer-Songwriter Nick Howe hat den Weg von London über den (Ärmel)Kanal nach Geltow an der Havel unter dem Hochleitungsmasten gefunden und singt solo, was die schon angeraute Kehle nach fast zwei Stunden hergibt.

Entertainment liegt in Howes Blut: seine Familie ist seit mehr als 200 Jahren in diesem Business. Und er zwischen den USA, Skandinavien und Deutschland unterwegs mit Live-Auftritten, oft mit alternativen Tanzgruppen, gern auch zu bürgerlicheren Anlässen auf dörflichen Festwiesen wie am Geltower Gemünde.


Am heutigen Fahrradsonntag gehört Howe zu den Marathon-Musikgruppen, die bis zum Schluss ihr Publikum in Schwung und bei Laune (unter)halten. Er schenkt uns Cover-Songs aus der Popszene, wie "Someone like you" von Adele. Den Refrain nutzt er, um audience participation aus den Wiesengästen herauszulocken, und ja, es gelingt: "Sometimes it lasts in love, but sometimes it hurts instead," gibt er vor, die Zuschauer fallen zustimmend ein und brüllen insbrünstig zurück: "but sometimes it hurts - oh yeah!" Keinen Liebesschmerz meinen sie wie im Song, sondern eher Radlerschicksal: zu viele, zu lange Kilometer auf dem Sattel an diesem Fahrradsonntag!


"Hit the road, Jack, and don't you come back no more, no more, no more, no more" - Das Lied von Ray Charles ist die mitreißende Rausschmiss-Hymne für einen Loser aus einem abgekühlten Liebesnest.

Für die strammen Radler am Gemünde verheißt der Songtext jedoch Aufbruch - hitting the road. Noch letzte tänzelnde Schritte bei den Großen, springende Bewegungen unter den Kleinen. Geltow tanzt ins Finale!


Es geht auf 17:30 Uhr zu. Als "West Virginia" aus Nick Howes Mikro in die Abendstimmung schallt, da trollen sich die ersten von der Wiese. Ich auch. Erfüllt vom Tagesgeschäft der Schwielowsee-Umseglung auf zwei bis vier Rädern:

Country roads, take me home

To the place I belong.

West Virginia, mountain mama,

Take me home, country roads.


Nick Howes letztes Plädoyer, "Stay with me" (Original von Sam Smith), verhallt nicht ungehört. Doch ohne Widerhall:

You better stay with me,

Stay with me

For tonight.











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