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  • crystalcove15

Mit Geduld, familiärem Rückhalt und kreativen Ideen dem Virus die Stirn bieten

Aktualisiert: 13. Juli 2021

Schwielowseer Unternehmen blieben - wie alle - von der Corona-Krise nicht verschont. Der Havelbote hat bei einigen nachgefragt, wie sie den Lockdown überstanden haben.


„Hereinspaziert“, lockt ein Schild vor dem frisch eröffneten „BlumenReich“ in Geltow die Kunden vom letzten Jahr zurück. Es ist der 1. März, Auftakt zum gelockerten Lockdown. Elf betriebsarme Wochen sind es her, seit die „Dritte Verordnung über befristete Eindämmungsmaßnahmen aufgrund des Sars-CoV-2-Virus und Covid-19 im Land Brandenburg“ vom 15. Dezember 2020 die Türen vieler Einzelhandelsgeschäfte versperrte. Statt unsere Pflanzen zu wässern, „mussten wir uns selbst über Wasser halten“, mit Blumenlieferungen zu freudigen und traurigen Anlässen, sagt Inhaberin Beate Reichelt rückblickend. Bei hohen monatlichen Fixkosten ein ungewohnter Balanceakt. Die Lockdown-Lockerungen kommen saisongerecht zum meteorologischen Frühlingsanfang, mit Kühle, Sonne pur, Frühjahrsblühern satt, einem Besucherstrom ohne Ende – und Arbeit von 5 bis 19 Uhr. Über Nacht kommt zum 2. März eine taufrische Verordnung: nur noch Türverkauf, da die Außenverkaufsfläche auf dem Gehsteig kleiner ist als der Innenraum. Einen Tag später ist auch diese Anweisung überholt.

Den Paragraphenwirrwarr mildert das Nachbarschafts-Catering: dampfende Linsengerichte fürs BlumenReich von der Metzgerei nebenan – eine Art Mittagstisch, den Metzger Mathias Bothe vorerst nicht in seinem Laden betreiben kann. Mit seinen frischen Gerichten leben Mittagsgäste draußen praktisch von der Hand in den Mund.


„Es war höchste Eisenbahn mit der Wiedereröffnung!“ Ähnlich unverdrossen zwischen behördlichen Vorgaben und wiedergewonnener Handelsfreiheit blüht das „GartenCenter“ Geltow auf. Hier passt es mit dem Verhältnis von Frei- und Verkaufsfläche, informiert Geschäftsleiterin Uta Jacobs. 40 nagelneue Einkaufswagen steuern die Besucherdichte, pro Wagen kann sich eine ganze Familie im Geschäft umsehen. „Wir haben euch so vermisst“, gestehen Kunden nach dem abrupt beendeten letzten Saisongeschäft, bei dem Hunderte Weihnachtsterne auf dem Kompost landeten. „Es war höchste Eisenbahn mit der Wiedereröffnung“, sagt Mitarbeiterin Jana Habermann erleichtert. „Unsere selbstgezogenen Stiefmütterchen und Primeln hätten wir nach zwei warmen Wochen nicht noch länger kühlstellen können.“ Mit analogen Werbeplakaten an Tür und Zaun tröpfelte es bescheidene Umsätze während des Lockdowns. „Den Ausgleich werden die Jahresumsätze hoffentlich bringen, die mageren Überbrückungsgelder eher nicht“, so ihre pragmatische Einschätzung.


Friseurläden sind die zweite wiederbelebte Branche am 1. März. Geltows Männer schwärmen

wieder:

„Du hast die Haare schön“, wenn Friseurmeisterin Claudia Knoppe und ihre drei Mitarbeiterinnen ihre „Leidenschaft für Haare“ an ihren Kundinnen zelebrieren. Mit Arbeitszeiten montags bis freitags von 8 bis 22 Uhr, samstags weniger, will die Chefin dem hohen Kundenbedarf wie dem Verdienstausfall ihrer Angestellten entgegenkommen. In Ferch erlebt der Salon „Ha(a)rmonie“ eine entspannte Saisoneröffnung. Inhaberin Cornelia Makebrandt-Pohle hatte finanzielle Rücklagen, die Kundschaft die Gelassenheit, dass Frisuren in Corona-Zeiten weniger wichtig sind als Gesundheit: „Wer sieht uns schon, wir gehen ja kaum aus.“ Cornelia Ehrt, Friseurmeisterin im Salon „My Style“ in Caputh, will mit Überstunden in ihrem Ein-Frau-Betrieb von 7 bis 19 Uhr, auch an den sonst freien Montagen, „aus dem tiefen emotionalen Loch“ herauskommen, in dem sie ohne Arbeit, Einkommen und Kundenkontakt endlose nervige Tage verbracht hat. Bezahlte Arbeit prägt. Vermittelt Selbstwert. Ohne Geschäftseigentum und Ersparnisse, ohne einen empathischen Ehemann und zwei quirlige Teenagertöchter hätte sie die pandemische Krise nicht überstanden, gesteht sie: „400 Euro Überbrückungsgeld für Januar und Februar sind ein Witz.“ Stammkunden kommen mit Geschenken und Wünschen. „Ich hab‘s ja so nötig“, stöhnt mit wildwüchsigem Haarschopf selbst ihre männliche Kundschaft.


Weiteren Einzelhandelsgeschäften die ersehnte Öffnung bringt der 8. März 2021 – mit „Click & Meet“, der Terminvergabe online oder per Telefon. Knies IT, Computerservice in Geltow, beachtet die behördlichen Auflagen (Terminbuchung, Datenerhebung, Maskenpflicht). Inhaber Stephan Knies ist in der Pandemie verstärkt im Einsatz, um den gesteigerten Homeoffice-Betrieb elektronisch in Schwung zu halten oder auch fernzuwarten. Sind Online-Verkäufe eine Option für den IT-Spezialisten? Das rechne sich nicht für ihn, so Knies. Denn die Corona-Krise hat den Onlinehandel der Großkonzerne boomen und die Frachtpreise für Containergüter aus China in die Höhe schnellen lassen. Kreativ in der Krise hat der IT-Berater ortsnahe Smartphone-Kurse für Senioren im Angebot, sobald die Kontaktbeschränkungen noch weiter gelockert werden.

Mode für die Seele. Dass sie Frauen mit modischen „Entzugserscheinungen“ stylistisch wieder aufpeppen kann, freut Corina Bauer, Modefachfrau seit 30 Jahren in ihrer Beauty-Boutique in Geltow. Neue Mode an- und ausprobieren, beraten werden, ein Schwätzchen halten – „das ist ein Event, mehr als ein Einkauf“, fasst sie ihre Modephilosophie zusammen. Die erste Verkaufswoche – ein voller Erfolg! Kundinnen wechseln mit „Lust auf Neuet“ ihre strapazierte Jogginghose gegen ein flottes Outfit. Statt im Lockdown online zu bestellen, haben sie ihrer „Butike“ die Treue gehalten.


Frühlinggefühle und Wohnträume. Auch die Geltower Autohäuser öffnen ihre Verkaufsräume wieder. Während die Werkstätten im 2. Lockdown gut zu tun hatten, haben die Händler den Corona-Absturz am bundesweiten Automarkt zu spüren bekommen. Der letzte Positivtrend beim Neuwagenverkauf – aufgrund der befristeten Mehrwertsteuersenkung – lief Ende 2020 aus. Online-Verkäufe ohne Beratung, das wissen die Händler, ohne Probesitzen und Probefahren kommen bei Kunden nicht gut an. „Umsatzrückgang im Privatkundengeschäft, ja, aber nicht im roten Bereich“, bilanziert Klaus Biering. Wie Tajo Sakowski vertraut auch er dem Kaufanreiz durch „Frühlingsgefühle“.


Coronabedingtes Homeoffice kann man nicht schönreden. Viele Menschen, Kinder, kleine Wohnungen. Die Enge birgt Spannungen, aber auch Chancen. Plötzlich daheim am Herd! In der Pandemie wachsen die Wohnträume, so versichern Klaus Dieter Käthner und Sabrina Neumann vom 1-2-3 Küchen-Studio in Geltow. Kundenkontakte wurden im Shutdown seit Dezember 2020 zunächst auf digitale Formate verlagert: mit Planungssoftware zur Traumküche. Und dann konnten Kunden zur abschließenden Beratung mit einer Sondergenehmigung des Ordnungsamtes ins Geschäft kommen. Seit dem 8. März 2021 ist dies Geschichte. Freier Eintritt für Küchenliebhaber!


Weitgehend verschont von Lockdown-Lasten konnten sich haushaltsnahe Dienstleister wie Claus Glasreinigung betätigen. Anke Vogt spricht von einer guten Auftragslage bei Firmen und einer gewissen Zurückhaltung bei Privathaushalten. Mit dem Frühjahr erhofft sie für ihr Geltower Unternehmen einen klaren Durchblick – durch Fensterscheiben wie durchs Corona-Regeldickicht.


Auf an und über die Havel! Auch das Fernweh sucht sich in Zeiten eingeschränkter Reisefreiheit neue Bahnen: Im Januar und Februar 2021 wurde für Berlin und Brandenburg ab einer 200er-Inzidenz der Bewegungsradius auf 15 Kilometer ab der Stadtgrenze begrenzt. Das reichte Tagestouristen aus Potsdam und Berlin, um es bis an die Havel zu schaffen, vor allem nach Caputh mit seinen zahlreichen kulinarischen Außerhausverkäufen.


Den Wunsch nach mehr individueller Mobilität in Corona-Zeiten verspüren Fahrlehrer Andreas Büchler und Sohn Phillip vor allem bei ganz jungen Anfängern, die im Homeschooling Zeit für den Führerschein finden. Die rund 400 Fahrschulen im Land Brandenburg durften unter Auflagen weiter offenbleiben, mit maximal fünf Teilnehmern in Theoriestunden. „Die Krise hat uns einen Schritt vorangebracht“, sagt Büchler, „in Richtung Digitalisierung“. Selbst wenn der Online-Unterricht in ländlichen Gegenden ohne G5-Netz längst nicht der gewünschten Datengeschwindigkeit entspricht.


Noch tuckert die Caputher Fähre Tussy II analog über die Havel. Berufspendler und Ausflugsgäste sind zwar corona-bedingt weniger geworden. Doch ohne reduzierte Betriebsstunden wie im ersten Lockdown „sind wir ganz gut über die Runden gekommen“, resümiert zufrieden Fährmann Detlev Storch.


Der Hunger auf kulinarisches Glück findet selbst im Lockdown Futterstellen. Im „Caputh Kebap Haus" zum Beispiel kochen drei Männer der Familie Günes heiße Gerichte zum zum Mitnehmen. „Immer satt und gesund“, das ist ihr Geschäftsmotto. Das Eiscafé Portofino an der Fähre hat bereits im warmen Februar mit Fensterverkäufen die neue Saison eingeläutet. Bedri Restelica wirbt mit dem Slogan „Glück kann man nicht kaufen. Eis schon“. Im Piccolo Gelato ist Familie Pucciarelli dankbar für treue Kundenunterstützung. In der Corona-Not entwickelt Signora Elena smarte Ideen. Zu Weihnachten bot sie Präsentkörbe an, zu Familienanlässen liefert sie italienisches Büffet. Neben Eis-, Kaffee- und Kuchenspezialitäten können Kunden demnächst auch italienische Delikatessen im neuen Feinkostladen genießen. Italiensehnsucht breitet sich bis nach Geltow aus. Der sonnenhungrigen Kundschaft öffnet Monique Aaldering am 1. März ihre Gelateria Il Sole, mit Softeis und 16 neuen Eissorten. Tische und Stühle im Außenbereich, noch mit rot-weißen Absperrbändern bandagiert, warten auf die Freiluftgastronomie. Über ihre Terrasse klingen Töne von Adriano Celentano: „Il ragazzo della Via Gluck“. Die Eisleute in Geltow und Caputh sind zwar längst keine Jugendlichen (ragazzi) mehr. Doch mit regem Hausverkauf und Lieferservice sowie frischen Ideen für ihre Kundschaft verbreiten sie Stück für Stück Gastro-Glück. Und machen Appetit auf geselliges Leben draußen in gewohnter Freiheit.


Erstveröffentlichung: Havelbote 03/2021, S. 9-10






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