Triefend unterwegs von Geltow nach Caputh im Tiefausläufer am Ende des Hitzemonats Juni 2021. Himmel und Havel ein monochromes Nassgrau, die Fähre zündet Signallichter für Nebelwetter. Dann ein lichter Blick: in die Schlossgalerie Haape in Caputh, die an diesem Mittwochmorgen in einen Werkraum für Alltagskünstler umgewidmet wird. Hier erwartet uns Sabine Braun mit Materialien und Malutensilien. Und strahlend guter Laune. Wir wiederum warten auf ihre Impulse, die unsere verborgenen kreativen Talente freisetzen können. Immerhin: Sie ist Kreativitätspädagogin und Malerin aus Geltow, das weckt Erwartungen. Schon im letzten Herbst, am Tag der Offenen Ateliers, konnte sie mich in ihrem Atelier Pinselinsel fürs Malen begeistern.
Und sie kann immer noch! Sabine zeigt uns ihre Kreationen: Aus selbstbemalten Doré-Papieren im Format 50x70 cm hat sie mit einer bestimmten Falt- und Schnitttechnik aufklappbare Minibücher hergestellt, die ganz ohne Bindung oder Klebstoff auskommen. Wir staunen! Noch mehr über den vielsagenden Namen dieser Werkreihe:
"Ungebunden“. So ist die Künstlerin selbst auch: in freier Auswahl von Farben, Pinseln, Spachteln, Schaschlikstäbchen, Plastikmessern von Fastfoodgerichten und ohne Bindung an Raum und Zeit (doch, etwas schon: der Kurs geht gute 2 Stunden und aufgeräumt werden muss nachher auch noch) die Hand auf dem Papier arbeiten lassen, ohne konkrete Zielvorstellung, gelenkt allein von Augen und Impulsen und dem allmählich wachsenden Zusammenspiel von Form und Farbe auf einem unbeschriebenen weißen Blatt.
Und wir eifern ihr nach. Jeder und jede am eigenen Maltisch und mit den selbstgewählten Materialien. Stehend, sich bewegend, ohne Blick nach rechts oder links. Das lenkt ab vom eigenen freien Gestaltungswillen.
Was geht mir spontan durch Hand und Herz und manifestiert sich auf dem Blatt? Halbbögen, mit zwei verschiedenen Flachpinseln, großzügig auf 50x70 cm Freifläche verteilt, zipfelig auslaufend oder in Ellipsen sich sammelnd. In Rot und Schwarz, meinen Lieblingsfarben. Schaschlikstäbchen ziehen Reliefs ein. Später wird Sabine bemerken: „Hast du dich von den Kaulquappen im Galerie-Garten inspirieren lassen? Du weißt schon, den Holzskulpturen von Ilka Raupach aus der aktuellen Ausstellung?“ Mag sein. Aber wenn, dann nur unbewusst. Diese Flotte gestrandeter Jungfrösche bzw. ihrer Vorstufen, im Sommerregen tiefschwarz glänzend auf hellem Kies vor dem Teich – ja, dieses Bild hatte am Morgen mein Auge und meine Kameralinse beschäftigt.
Vergleicht doch mal selbst:
Da fehlt doch noch was! Mit ein paar Schritten Abstand von meinem Maltisch entdeckt mein prüfendes Auge Leerstellen im Form- und Farbarrangement. „Save your whites“, hat mir mal eine Aquarellmalerin verraten. Ja, diese freien Stellen lasse ich zu, Ruheinseln fürs Auge, Nullstellen für die Phantasie. Aber irgendwie fehlen noch i-Tupfer. Mit Wasser verdünnt, tränkt die Farbe meinen Rundpinsel, seinen Holzgriff schlage ich knapp und kräftig über dem Handrücken ab, Konfettispritzer verteilen sich hier und da auf dem Papier. Und – ouch – tummeln sich auch auf dem Galerieboden. Mein Ordnungssinn setzt sich kurzzeitig durch. Raus aus der Fantasie, rein mit dem Zewa-Tuch ins Malwasser, wisch und weg mit der Kleckserei auf dem Boden.
Zufrieden jetzt? Ja. Ästhetisch und pedantisch. „Wenn ihr fertig seid, dann legt eure Papiere auf dem Boden zum Trocknen aus!“ Sabine ruft uns zurück zum Handwerk. „Wir wollen ja noch falten und schneiden.“
Warteschleife. Gouachefarben trocknen schnell zu einer matten Oberfläche. Normalerweise, wenn die Kursgruppe an warmen Sommertagen im Garten der Galerie arbeitet. Heute eher nicht. Der anhaltende Regen schickt Feuchtigkeit in den Werkraum. Vor allem meine finalen Farbkleckse glänzen mir satt entgegen. Ein Fön muss her! Galeristin Melanie Haape verlängert ihr morgendliches Styling, erscheint mit ihrem Haartrockner und verteilt wohldosierte Luftströme.
Derweil gibt es Kaffee und Kekse von Melanie mit Afrika-Flavour für die Workshoppers! Wir genießen eine Pause, gehen reihum und nehmen die Werke der anderen in Augenschein. René etwa hat in Blau und Rot verschiedene rechteckige Flächen in unterschiedlicher Größe, Farbsättigung und Ausrichtung dicht an dicht gestellt. Sabine selbst hat sich für Gelb und Rosa in zarter Farbauflage entschieden und hier und da schwarze Linien und Konturen ergänzt. „So many men (and women!), so many minds“, heißt es ja. Oder mit Josef Beuys – in seinem 100. Geburtsjahr - gesprochen: „Da, wo er (der Mensch) seine Fähigkeiten entfaltet, ist er Künstler!“ Das möchte ich jetzt mal glauben 😉!
Erneut ans Werk. Die Farben trocknen langsam, auch im Elektro-Luftstrom. Wir lassen uns weiter von unserer Kursleiterin motivieren. Malen auf halbem Format für den Rest der Workshopzeit.
Diesmal spielt mir Sabine Eddings zu. „Versuch’s mal mit Umrandungen!“ Der Stift in meiner Hand entscheidet sich für Dreiecke, spitzwinklig, frei, ineinander verkeilt. Die Farbe füllt: Rot über Schwarz und umgekehrt, aggressive Spitzwinkel nähern sich der gegnerischen Farbfläche, machen halt, ohne einzudringen. Alles ist flächig, nur ein einzelnes Dreieck füllt sich zur Raumgestalt. Zufällig. Der Bildhöhepunkt. Außerhalb der Mitte. Der Goldene Schnitt – absichtslos ist er da!
„Wie schön, dass ihr trotz der Regenfront hierher gekommen seid! Für den letzten Schritt in eurem kreativen Prozess gebe ich euch eine Faltanleitung mit nach Hause. Vergesst nicht, euer Blatt vorher zu glätten.“ Wie denn? „Mit dem Bügeleisen und einem feuchten Tuch!“ Echt jetzt?! „Nur Mut! Das gelingt!“
Mit Schwung zurück in den Alltag. Wir driften auseinander, alle über die Havel zurück nach Geltow, unsere Kunstwerke gerollt und geschützt vor dem auströpfelnden Regen. Und verlängern unseren Kreativmorgen bis in die Abendstunden. Mit Geduld, Wärmetechnik, Fingerfertigkeit und scharfer Schere ist es um 18:32 Uhr vollendet: mein gefaltetes Minibuch! Schaut’s euch hier an:
Segmentiert, ruhiger, tiefenschärfer und ansichtsstärker als das gewellte flächige Original 50x70. Oben und unten verschwinden im Minibuch, hinten und vorn ebenso. Ein multiperspektivisches Spiel mit Kunst!
Kursleiterin Sabine Braun hat recht, wenn sie in ihrem Flyer „Kunstkurse in der SchlossGalerie Haape“ verspricht: „Von Collagen bis zur Malerei werden Sie zu Arbeiten kommen, die Sie selbst überraschen werden.“ Das allein zu lesen ist verlockend. Dabei zu sein, etwas zu tun, mit den Händen und den Augen, Formen und Farben in ihrem gewollten wie eigenwilligen Zusammenspiel zu erleben und vor allem dabei sich selbst zu entdecken – darin liegt für mich der persönliche Gewinn an diesem verregneten Junimorgen.
Die Kunstkurse mit Sabine Braun gehen im Sommer, Herbst und Winter 2021 weiter: Mittwochmorgens von 10:00 – 12:15 Uhr mit „Malen am Morgen“ für Erwachsene, ab August auch mittwochnachmittags von 16:00 – 17:30 Uhr mit der „Malwerkstatt“ für Kinder. Anmeldungen per Email an info@schlossgalerie-haape.de.
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