Alexandra Weidmann stellt neue Serie in der Kulturkirche Petzow aus
Havellandkenner Theodor Fontane
überschattete einst sein hochgelobtes Bild von der Petzower Seenlandschaft - "ein Landschaftsbild im großen Stil ... von absoluter Schönheit" - mit einem Verriss der Dorfkirche, 1842 fertiggestellt nach Stararchitekt Schinkels Plänen im neuromanischen Stil ohne ornamentale Schnörkel früherer Epochen. Eine "entzauberte Kirche", wie Fontane murrte, die seinen "Sinn kalt" lasse.
Die aktuelle Ausstellung in der Petzow Kirche
Ganz anders am letzten Julitag 2022, als Besucher zu Alexandra Weidmanns Vernissage "Lebensgemeinschaften" in den seit 1988 entwidmeten Sakralbau treten. Schattensuchend bei 30° Sommertemperaturen - ja, durchaus. Doch die Sinne erwärmen sich gleich durch die Leuchtkraft der Ölgemälde an den Kirchenwänden:
Und der Kühlraum des Kirchengemäuers erhitzt sich durch so spontane Kommentare von eintretenden Sonntagsausflüglern wie: "Nee, das sind ja mal grelle Gestalten hier in der Kirche - geil!" Oder: "Schon provokativ, der Dicke da mit seinen Gespielinnen." Und: "Gottchen, wenn hier junge Paare getraut werden, dann haben ja wohl auch solche 'Lebensgemeinschaften' einen Platz in der Kirche verdient."
Künstlerin und Rednerin
Alexandra Weidmann aus Berlin (li) ist nicht nur freundschaftlich mit Anke Ilona Nikoleit aus Weissensee verbunden. Beide Frauen entwickelten ihre Künste aus zunächst anderen Berufsständen - als Informatikerin bzw. Landmaschinenschlosserin. Als inzwischen freiberufliche Erzählerin, Malerin und Grafikerin lockt Anke Ilona ihr Publikum rednerisch auf die biografischen und künstlerischen Spuren ihrer Freundin Alexandra - nicht als Laudatorin oder mit geflügelten Worten, wie sie verneint, sondern auf eine ihr eigene unterhaltsame Erzählweise.
Anke Ilona. "Was man so weiß über Alexandra: In Augsburg geboren, in Berlin studiert, Informatik. Da hielt sie sich nicht so lange auf. Schon bald war ihr klar, dass sie nicht die blanke, bloße Informatikerin alleine sein würde oder wollte."
Alexandra zu mir im Vorgespräch: "Ich wollte immer schon malen. Aber Kunst studieren? Meine Eltern meinten, ich sollte was Vernünftiges machen. Am besten heiraten."
Letzteres hat ja dann auch noch geklappt: Ehemann Günter Hommel begleitet sie zur Vernissage mit diskreter Präsenz und Kamera.
Nicht unbedingt ein affiner Bereich zur Kunst, die Informatik? "Was ist kreativer als die Naturwissenschaften, die Mathematik?! Erfinden Sie mal ein Fahrrad, ein Flugzeug oder Strom!"
Anke Ilona. "Es gab diese Verbindung Informatikerin - Künstlerin, und als Künstlerin startete sie 1998 freischaffend durch. Ihre Bilder gab's nicht nur lokal und national zu sehen, nein, sie gingen auch international auf Reisen: Dänemark, Vereinigte Staaten, Italien, Belgien, Türkei, Schweiz. Genau das nenne ich durchstarten."
Alexandra vorher zu mir: "Wir haben zwei Jahre in Istanbul gelebt. Da lernte ich die orientalische Buchmalerei genauer kennen.
Dort gibt es nicht den starren Bildaufbau in Vorder-, Mittel- und Hintergrund. Früher ja auch nicht in Deckenmalereien in der westlichen Kunst. Das habe ich immer mal wieder in meine Bildkomposition übernommen. Damit kann ich Ereignisse in Raum und Zeit mit mehr Varianten beschreiben."
Anke Ilona. "Alexandra hat diese Ausstellung 'Lebensgemeinschaften' genannt. Das passt, auf den ersten Blick. Aber ich sehe immer in all den Bildern noch mehr. Zuerst spricht einen die Farbe an. Und dieses Noch-mehr äußert sich zum Beispiel in dem grünen Pferd dort, in dem Krokodil. Alexandra selbst sagt von sich:
Ich verstehe mich als eine in meiner Zeit verhaftete Künstlerin, nehme Ideen aus der Kunstgeschichte auf, mache sie mir zueigen, entwickle sie.
In dem Bild mit dem grünen Pferd und Krokodil, da frage ich mich: Wusste Alexandra von der ägyptischen Mythologie? Ein bisschen interpretier ich da jetzt hinein. Wie der Pferdekopf aussieht - das ist für mich ein Drachenkopf. Beim Archetyp des Drachens sehe ich das Aufeinanderprallen von westlicher und östlicher Kultur. Es müssen aber keine Gegensätze bleiben, man kann überall Gemeinsamkeiten suchen und finden.
Und so sind alle Bilder hier ausdrucksstark und interpretierwürdig. Aber dazu geht man am besten ins Gespräch mit der Künstlerin selbst."
Besucher im Gespräch mit Kunst und Künstlerin
Diashow: Mit dem Pfeil > die Bilder nach rechts bewegen.
Als katholisches Mädchen - in grauer Vorzeit meiner westlichen Sozialisierung - kenne ich die Geschichte von St. Georg - klar: legendärer Drachentöter. Zur Zeit der Kreuzzüge soll er eine Königstochter vor dem tödlichen Biss des Drachens gerettet haben. Als Lohn forderte er ein - und bekam auch die Zusage -, dass sich König und Volk christlich taufen ließen. Soviel zur westlichen Anbindung des Bildmotivs.
In orientalischen Schöpfungsmythen muss der Drache getötet werden, damit die Erde fruchtbar und bewohnbar wird. Das sind offensichtlich die Mythen und Legenden, die im Kunstwerk bildlich umgesetzt werden, die sich Alexandra Weidmann "zueigen gemacht und entwickelt hat". Die künstlerische Abbildung überlieferter Mythen - das ist wohl kaum die Intention der Künstlerin, die sich in ihrer "Zeit verhaftet" sieht. St. Georg, die Heilsfigur aus christlicher Legende, ist in ihrer künstlerischen Umsetzung kein Nothelfer mehr - er ist in ihrer Sicht "gescheitert". In westlicher Tradition war die Taufe das Ziel der Legende. Heute aber: Versuche der konfessionellen Bindung von Menschen, der Rückgewinnung von Kirchenaustretern im 21. Jahrhundert können unkontrovers als Flopp, als "gescheitert", eingestuft werden. Kirchenskandale, Steuerlasten, weltliche Lifestyles ... Religion verliert für viele ihre gemeinschaftsbildende Funktion. Die Erde retten vor umweltbedrohlichen Einflüssen, wie im Drachentod des östlichen Kulturkreises angedeutet - das klingt schon eher zeitgemäß und dringlich. Da kommt der Schiedsrichter im Bild ins Spiel: ein be- oder auch abgeschirmter Herr, der lustwandelt, hinschaut auf den scheiternden Kämpfer, aber nicht eingreift, wie es seiner Rolle entspräche. Wer sich hinter dieser Kunstfigur im Bildkosmos der Künstlerin verstecken mag? Alexandra Weidmanns Kunst provoziert Gespräche über unsere Gesellschaft!
Dies schrieb mir Alexandra Weidmann ein paar Tage später per Mail: "Spannend finde ich Ihre Interpretationen:
"Jede Betrachterin erzählt sich ihre eigene Geschichte"
Genau so sollte es sein, meiner Meinung nach.
Mein Geschichte zu „St. Georg – gescheitert“ ist etwas profaner als Ihre. Nach dem 11. September dachte ich viel nach über Menschen, die andere zu retten versuchen und dabei scheitern. Und dass ‚niemand‘ über sie spricht. Da kam mir die Legende vom Drachentöter in den Sinn.
Mehr food for thought bieten die anderen Gemälde an. Zwei letzte Leckerbissen:
"Alt", "weiß" und männlich - eigentlich Attribute, die zur Gender-Hierarchie in der zeitgenössischen #metoo-Debatte passen. Die Empathie der Betrachter scheint die Künstlerin weniger auf die abgekämpfte Männergestalt als auf den hier ausgesparten weiblichen Part des "Geschlechterkampfs" lenken zu wollen. Ihre figürlichen Bildelemente sprechen Bände..
Und diese beiden Schönen? Der Bildtitel heißt "Gefangen" (2021). Auf ihrer Webseite gibt Alexandra Weidmann Einblick in ihre Technik: "Für die Darstellung von Personen werden zumeist mehrere Fotos benutzt. In den fertigen Bildern sind die Vorlagen nur noch vage erkennbar." Wer mag hier noch an "vage" glauben? Und - gefangen sein? Das liegt in der Deutungshoheit der Künstlerin.
Wer selbst auf Spurensuche
auf der Ausstellung in der Dorfkirche Petzow gehen möchte,
kann dies noch bis Ende August 2022 tun.
Dieses radelnde Ehepaar aus Berlin kam am 31. Juli 2022 leider zu spät zur Vernissage. Die angeregt plaudernden Gäste, die aus der Kirche treten, motivieren sie jedoch zu einem Kunstgenuss per Rad später im August.
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