Marcel Krüßmann öffnet sein Wald Atelier in Ferch nicht nur an den Tagen der Offenen Ateliers
Ein Wohnwagen hinter Farn und unter Bäumen, im Farb- und Stilmix aus nahen und fernen Kulturen, mit fröhlich schwatzenden und Tee nippenden Freundinnen auf einer Terrasse aus Holz - auf 4200 Quadratmeter behaust das Wald Atelier in Ferch außergewöhnliche Kunst-objekte im Freien und lädt Menschen ein, an Wegen und Plätzen in der Natur den Arbeiten unterschiedlichster Künstler*innen zu begegnen.
Was für ein Glück! Der 21. August 2021, der erste Offene Tag der Ateliers, ist ein ungetrübter Sonnentag und ich treffe Marcel Krüßmann selbst auf seinem Grundstück an. Und er findet Zeit, mich mit auf eine Kunsttour der Extraklasse zu nehmen.
"Mein Waldgrundstück wurde ursprünglich gekauft als Erholungs-Freizeit-Laubenpieper-Dingsbumms", erinnert sich Marcel lachend, "aber die Gemeinde freut sich auch über alternative Nutzung."
Und alternativ geht es los! Über geschwungene Waldwege vorbei an Vitrinen mit Kunstobjekten oder an Kunstwerken in der freien Natur, die nicht in der Witterung verrotten können.
Marcels Netzwerk an Künstlerinnen und Künstlern präsentiert sich gleich am Eingang. Viele stammen aus dem Umfeld, aus Berlin und einige aus den westlichen Bundesländern. Keine feste Community, eher eine wechselnde Gruppe von Kunstschaffenden.
"Wie kommst du überhaupt zu deinem Künstlernetzwerk?", möchte ich wissen.
"Ich war schon in einer Künstlergruppe in Eiswerder in Spandau mit eigenem Ausstellungsraum", berichtet der gebürtige Berliner. "Dann wurden die Hallen abgerissen, aus den Speicher-häusern an der Havel wurden exklusive Anlagen mit Eigentumswohnungen. Is ja nix Neues. Wohin also mit uns?! Ich spielte damals schon in meiner Band Icke (ist auch mein Pseudonym) im Berliner Open Stage. Bin eigentlich mit Musik gestartet, dann erst bildhauerisch unterwegs. Die Besitzerin hatte einen Wald in Ferch, den konnten wir haben, auf Pachtbasis." Und so entstand dieser wundersame Kunst-Natur-Ökotop!
Seit fünf Jahren in Dauerbetrieb mit Hilfe seiner ehrenamtlich schaffenden Crew ist das Wald Atelier aber nicht dauernd geöffnet: immer am ersten Wochenende im Monat, samstags von 14-18 Uhr und sonntags von 12-18 Uhr.
"Das ist entspannend", hat Marcel für sich festgestellt. "Da ist ja auch noch Arbeit in der Woche, mit der Band und in der Schule." Kann er davon leben? "Ja, Phi mal Daumen", schätzt er vorsichtig ein, "wir sind ja noch ein frisches Unternehmen. "Es kommen Spendengelder rein, auch durch die Besucher. Und ein bisschen kommt auch durch unsere Küche dazu. Wenn hier busseweise Leute vorgefahren kämen, müssten wir das irgendwie woppen. Und dann wäre es auch keine Herzensangelegenheit mehr, wir würden verlieren, wenn et kein Geheimtipp mehr wäre."
"Alle Künste sind gut, ausgenommen die langweilige Kunst"
Davon war schon der französische Aufklärer Voltaire im 18. Jahrhundert voll überzeugt. Und dies trifft auch auf Marcels Natur-Galerie voll zu.
Unterwegs im Wald Atelier sehe ich so viele künstlerische Handschriften, wie es Medien, Techniken und Materialien gibt.
Eine Vielfalt an bildnerischen und darstellenden Kunstobjekten finde ich an Wegen, unter Bäumen, in Nischen und auf Wiesenflächen: Gemälde, Zeichnungen, Fotografien, Performance Art wie Lichtinstallationen und Wasserspiele, dann noch Skulpturen, Masken, Collagen und anderes, für das ich Kunstfreundin noch keinen Namen gefunden habe:
An Materialien verwenden die Artisten Altbewährtes wie Holz, Papier, Öl-, Aquarell-, Acryl- und Pastellfarben, aber auch alltägliche Werkstoffe wie Silikon, Schaumstoff, Plastik, Glas, Keramik (die zu Mosaiken für Marcels Skulpturen gebrochen werden), Stacheldraht (Marcels andere Spezialität), Pappe, Papier, Gips und Beton. Und Gebrauchsgegenstände aus Haus und Hof wie Bestecke und Besen, Abgas- und Auspuffrohre, Metallmatten Es gibt nichts, was sich dem gestaltenden Formwillen entziehen könnte:
Kunst und Spiel - diese Kombination hat sich Marcel zueigen gemacht und in seinen Beton-Mosaik-Skulpturen über das Gelände verteilt. Spiele, die motorische Geschicklichkeit mit den Händen, Konzentration, Wetteifer, Wagemut, Willen zum Sieg und heitere Gelassenheit beim Verlieren in uns freisetzen. Im Spiel entdeckt schon das Kind seine individuellen Eigen-schaften, wird kreativ und entwickelt kulturelle Fähigkeiten. Warum also nicht als Erwachse-ner zum Auffrischkurs in Sachen Kultur in Marcels Wald Atelier!
Marcel zeigt mir zum Beispiel, wie ich das Orakel mit Balleinwürfen dazu bewegen kann, mir zu meiner still formulierten Lebensfrage eine nicht beeinflussbaren Antwort zu geben. Hohe Trefferquote: 2 Mal "ja", signalisiert die Auffangbox unten - meine Wunschantwort. Kann ich gut mit leben! Mit diesem Auftrieb geht es weiter!
Am Krokodil, einem weiteren Spiel-automaten, kommt niemand ohne Spielsucht vorbei. Mit Marcel lasse ich mich auf einen spielerischen Wettstreit mit Ballwürfen in den offenen Krokodilrücken ein, ein Zufallsgenerator lenkt die Bälle im Tierbauch so, dass sie auf Zahlenfeldern am Schwanzende wieder austreten, Punkte werden addiert. Es gibt Sieger und Verlierer im lockeren Wechsel. Die Zeit fliegt vorbei!
Und kurz vor dem Ausgang - noch ein Spielautomat in Mosaik-Optik, dessen Innenleben mich noch mehr beeindruckt als die Glückssträhne, die mich dort erwartet: Ein ganzes Arsenal von industriellen Abfällen hat der Multi-Künstler hier ebenso kreativ wie funktional verwendet, um die Spielkugeln über abschüssige Zufallswege ins Ziel rollen zu lassen.
Ich jubele: "Das ist ja total spannend, ist was für die Kinder, die hierher kommen, macht ihnen bestimmt mächtig Spaß!" "Und Erwachsenen ebenso", gibt Marcel vergnüglich an mich zurück, in seinem unverkennbaren Berlinerisch, ganz ohne den Singsang der Haribo-Reklame. Und fügt hinzu: "Wie icke grad miterleben konnte!"
Ein Herz für Kinder hat Marcel Krüßmann nicht nur in seine Spielautomaten gesteckt.
Zu seinen Mosaik-Kursen an den Wochenenden von Mai bis September sind Kleine und Große eingeladen, von 9 - 99 Jahren. Hier können sie "in alten Sachen, die schmutzig werden können", von 10 - 16 Uhr (mit Pausen natürlich) ihre Energie einsetzen, "um Geschirr zu zerkloppen" und daraus etwas Neues zu gestalten.
Kinder an der Albert-Einstein-Grundschule in Caputh kennen Marcels als einfallsreichen Kunstlehrer. "Wenn du ihnen 'nen Weg zeigst, dann sind sie voll dabei und sind nicht aufzuhalten", schwärmt er.
Eine Grundschulklasse hat er zu einer Kunstaktion in sein Waldatelier geholt. Hier wurden Kinder zu neugierigen Forschern und Experimentierkünstlern.
Sie haben das Sonnensystem, so wie sie es sich vorstellen, aus Abfall-Werkstoffen hergestellt, die Planeten aus bemalten Styroporkugeln mit Bindfäden wie auf einer Umlaufbahn verbunden und an die Frontseite einer Holzhütte gehängt. Die Ähnlichkeit zur physikalischen Darstellung des Planetensystems ist überraschend: Kunst besteht eben nicht aus der realistischen Abbildung, sondern aus Verzicht und Konzentration aufs Wesentliche. Ist hier eine eigene Weltraumperspektive.
Die Caputher Grundschulkinder haben dem Namensgeber ihrer Schule nachgeeifert und ihm ein Denkmal gesetzt. Was hielt der Naturwissenschaftlicher Einstein selbst von der Kunst?
"Phantasie ist wichtiger als Wissen,
den Wissen ist begrenzt."
Phantasie hat diese Kinder im Wald Atelier Ferch beflügelt
und lässt Erwachsene bewundernd vor ihrem Sonnensystem stehen bleiben!
"Der Wald leuchtet"
Kinder und Erwachsene erwartet am ersten Wochenende im September 2021 ein besonderes Lichtspektakel: In der Abend-dämmerung ab 18 Uhr macht Marcel Krüßmann seine Lichtinstallation flott und lässt sie bis 22 Uhr mit dem dunklen Himmelsblau wetteifern.
"Viel schöner als Halloween, denn noch ist die Luft sommerwarm", höre ich Eltern und Kinder schwärmen. Und viel geheimnisvoller und doch friedlicher, finde ich, als das ursprünglich irische Fest, das bei uns jedes Jahr zum 31. Oktober mit Kaufrausch und Gruselkostümen gefeiert wird und dessen Brauchtum kaum noch bekannt ist.
Freundliche Lichtgestalten geistern durch Marcels Waldgebiet, Lichterketten weisen den staunenden Besuchern den sicheren Weg. Keine Bange vor der dunklen Jahreszeit! Was tagsüber in realistischen Formen und Farben beeindruckt, erscheint zur Lichterschau fast überirdisch verwandelt:
Wer in dieser Bilder- und Lichterflut mal ausspannen will, findet einladende Ruheplätze:
"Die Kunst hat es eigen, dass sie den Menschen stille, ruhig und friedlich macht",
sagte der Historiker Georg Gottfried Gervinus etwa in der Mitte des 19. Jahrhun-derts, ein früher Demokrat und Revoluzzer, in der Politik ebenso bewandert wie in der deutschen Literatur-geschichte. Und mit einem eigenen Kunstverstand, der ihm in politisch wirren Zeiten des national zersplitterten Deutschlands zu innerer Balance führte.
"Still, ruhig und friedlich" gestimmt verlassen am späten Abend des 5. September 2021 die letzten kleinen und großen Besucher in Ferch den "Wald, der leuchtet". Zauberhaft. Leider nur einmal im Jahr, am Ende des Sommers. Und damit etwas ganz Besonderes!
Die Nacht nimmt noch kein Ende.
Zurück im heimischen Gefilde tanzen die friedlichen Lichter und Gestalten des Wald Ateliers vor meinen Augen weiter.
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