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"Irgendwann beim Malen sage ich: Es ist gut"

Aktualisiert: 25. Feb. 2022

Mit der Künstlerin Annette Lück-Lerche im Gespräch in der Turmgalerie Bismarckhöhe in Werder

Annette Lück aus Glienicke/Nordbahn in Brandenburg, am Nordrand Berlins malt Bilder in Acryl und gestaltet Objekte aus Papier, Naturmaterialien und Draht.

Eine Auswahl ihrer Kunstwerke sind unter dem Titel "Vom Wachsen, Werden und Vergehen" in der Turmgalerie Bismarckhöhe in Werder seit dem 20. Februar 2022 zu sehen.



Annette Lücks Schaffensprozess ist vielschichtig, im echten Wortsinn: "Ich male ein Bild, es gefällt mir noch nicht, ich stell's beiseite, bis mir was dazu einfällt. Dann übermale ich es und irgendwann sage ich: 'Es ist gut. Das muss jetzt genügen.'"


Ähnlich klingt es in der biblischen Schöpfungsgeschichte, am Ende des 6. Tages: "Und siehe, es war sehr gut" (Genesis 1,31). Das hebräische Wort tov in der Urfassung kann dabei als "gut" oder auch als "schön, lieblich" verstanden werden. Die Selbstbewertung der Künstlerin, "Es ist gut", möchte ich als Besucherin auf die ästhetische Qualität und die Bedeutungstiefe ihrer Ausstellungsstücke beziehen.


Beim Rundgang durch die Galerie erfreuen den Kunstinteressierten viele solcher schönen und sinnhaltigen Augenblicke.


Kreatürlicher Kreislauf

Annette Lücks Bilder mit Naturmotiven verbinden sich vor meinen staunenden Augen zum Narrativ der gefährdeten Umwelt: zum Kreislauf des Lebens, der jedoch in ihrem Oeuvre nicht im "Vergehen" stehenbleibt, sondern Hoffnungsstrahlen in die Zukunft sendet. Ich lasse mich mit Muße und tastendem Blick auf diese Acrylbilder ein:

In Bild 1, "Werden und Vergehen" (2020), zieht die Bilddiagonale eine krasse Grenze zwischen den beiden kreatürlichen Stadien des "Werdens" und "Vergehens". Das "Wachsen" bleibt ausgespart. Die kontrastive Farbsymbolik unterstreicht den übergangslosen Umschwung: Im Grün und Gelb liegt botanisches Leben, im Rot die Glut und im Schwarz die Fäulnis der Verwesung. Die letzten gelben Ausläufer des Lebens in der schwarzen Moderfläche scheinen das finale Stadium des natürlichen Ablebens nicht aufhalten zu können.


In Bild 3, "Pflanzen als Lebenskünstler" (2020), gestaltet die Künstlerin (selbst in Bild 4) wohl einen Gegenentwurf zum unausweichlichen Sterben in der Natur. Hier erwächst aus schwarzem Grund - aus marodem Baumstamm oder Morast? - ein leichtes, hellrotes Gewebe, das sich flächig ausbreitet und den düsteren Hintergrund lebensfroh übertüncht.


In Bild 2, "Natur VI, VII, X, XI" (2022), meine ich Samenzellen oder -kapseln zu erkennen, in Farben des Wassers gemalt, Urquell des Lebens. Aus schwarzem Nährboden ziehen diese Kapseln vitale Kraft, um frische Keime sprießen zu lassen, die in alle Richtungen drängen. Ihre Einzelstudien hat die Künstlerin zu einem vierteiligen Gemälde zusammengefügt und mit fließenden Übergängen der Farben und Formen ein eindrucksvolles Sinnbild geschaffen: für den unbändigen Schöpfungsdrang in der Natur.


Plastische kreatürliche Sinnbilder

Auch die dreidimensionalen Objekte von Annette Lück, die Kurator Jörg Rappke (in Bild 5: hinten rechts, im Gespräch mit Künstlern und Besuchern) im Ausstellungsraum verteilt hat, bringen den Kreislauf in der Natur aus ihrer individuellen Perspektive plastisch zur Anschauung:

Bilder 1 + 2 exponieren die Kahlheit von entwurzelten Baumstämmen oder abgesägten Ästen, schön in ihrer stilisierten Darstellung und monochromen Farbgebung, treffend als "Relict I/II" (2020) betitelt.

Bild 3 ("Wildnis", 2020) offenbart das "Aggressionspotential" (wie die Künstlerin ihre rote Farbe deutet) im Prozess des Vergehens.

Bilder 4 + 6 zeigen Möglichkeiten, wie ehemals Kreatürliches durch Upcycling weiter existieren kann, hier in naturhaften Gebrauchsformen und in symbiotischem Verbund mit zwei Naturräumen: "Gewächshaus" und "Baumhaus" (2020).


Die Arche Noah

ist ein Sinnbild aus biblischer Tradition, das Annette Lück immer wieder beschäftigt, malerisch wie bildnerisch, und zu seriellen künstlerischen Entwürfen angespornt hat.


"In frühen Versuchen habe ich die Arche mit Löchern dargestellt. Die Umwelt ist nicht mehr zu retten", so ihr ökologisches Statement. "Schauen Sie mal auf meiner Webseite im Archiv nach, da finden Sie Plastiken und Gemälde mit dem Arche-Motiv."


Mach ich. Und stoße immer wieder auf die explosive Kraft, die die Malerin in Rottönen zum Ausdruck bringt. Offensichtlich liegt nicht in der Natur selbst, sondern im nachlässigen Umgang des Menschen mit seiner Lebenswelt die destruktive Gewalt, die die Selbstheilungskräfte der Natur aufheben kann.

Bild 1: "Arche V" (2009); Bild 2: "Arche Noah" (1997, Seidenpapier, Äste);

Bild 3: "Baumschiff" (2020, in der Ausstellung); Bild 4: "Rotes Meer" (2017);

Bild 5: "Arche im Chaos" (2014).


Projekte für die nächste Zeit

Das Bildpotential der Bibel inspiriert Annette Lück weiter. Pflanzen, Tier und Menschen hat sie vor Augen. Und die Letzteren auf den Bäumen! Eine Umkehrung der Evolution, der Mensch zurückgeworfen in seiner Stammesgeschichte? Die Künstlerin lächelt vielsagend, selbst noch nicht beim Produkt ihres Schaffensprozesses angekommen. "Sie geht nicht von einer konkreten Bildidee aus, sondern lässt sich von dem Prozess des Malens führen", lese ich in der Information zur aktuellen Ausstellung.


Aber mögliche Darstellungsformate für ihre Bibelserie schweben der Künstlerin schon jetzt vor: ein Leporello, ein Faltbuch, das ziehharmonikaartig zusammen- und auseinandergefaltet werden kann, ein Endlosband, der ihr bestens für kontinuierliches und interaktives Kunstschaffen mit zwei weiteren Kolleginnen geeignet zu sein scheint. Oder auch ein Skizzenbuch, das sie sich von der Decke herabhängend im Ausstellungsraum vorstellen kann. Im Web-Archiv der Künstlerin finde ich entsprechende Atelierimpressionen:


"Der Mensch im Mittelpunkt"

Die Vielseitigkeit der Künstlerin ist längst noch nicht erschöpft. In der Turmgalerie liegt ein Band mit Abbildungen ihrer Gemälde zum Thema 'Mensch' mit dem obigen Titel aus.


"Im Studium bin ich zum Aktzeichnen gekommen, vor lebenden Modellen. Diese Begegnung ist mit Corona irgendwie 'hinten runtergefallen'", bedauert sie mit negierender Handbewegung. "Aus der Anschauung heraus zu zeichnen, selbst wenn man dabei abstrahiert, ist durch nichts zu ersetzen", erläutert sie mit Überzeugung.


Was interessiert sie am Menschen als Kunstobjekt? Sein Facettenreichtum? Die Künstlerin spricht über ihre Impressionen:







"König und Königin" (2013)

"Krieger" (2013)

"Vogelmann und Vogelfrau" (2010)

"Mann und Frau in der Partnerschaft, inniglich verbunden"

"Das war erst ein ganz anderes Bild, mit 3 Personen: 1 Frau und 2 Männern - da war wohl eine Krise in meinem Leben, wer weiß. Ich hab's übermalt." Zurück zur Zweisamkeit?

​"Menschliche Figuren wie in ihrem Urzustand. Unschuldig, machtlos. Sie sind keine Retter der Welt, der Natur."


Rückblick

Eine reichhaltige Ausstellung zum Auftakt der Saison 2022 in der Turmgalerie Bismarckhöhe in Werder

  • feinsinnig kuratiert von Jörg Rappke (Mundschenk im letzten Bild) und seiner Ehefrau Charlotte Rappke (rechts in Bild 2 +4)

  • lebhaft besucht am ersten Öffentlichkeitstag von Künstlerinnen (neben Annette Lück auch Britta Lehmann, rechts in Bild 2, 4 und Petra Steinbeiß, in Bild 1, 3, 5, 7) und Kunstinteressierten

  • und mit Freude am Schönen und Geselligen und Gesprächigen erlebt:

Ausblick

Weitere Besichtigungstermine, immer von 14-18 Uhr:

Sonntag, 6. + 20. März, 3. + 17. April

Samstag, 19. März, 16. April

Freitag, 15. April

Finissage: Montag, 18. April

Info und Anmeldung zu Führungen: 03327 - 663170 und info@bismarckhoehe-in-werder.de


Kurz-Bio

Annette Lück-Lerche ist gebürtige Hamburgerin. Dies sind die Etappen ihrer künstlerischen Ausbildung und Praxis:

  • Studium an der FHS für Gestaltung, Hamburg - Fachrichtung Illustrationsdesign (Diplom) bei Frau Prof. Marianne Weingärtner

  • Studium an der HdK Berlin - Fachbereich 11, Kunst und Therapie

  • Ausstellungs- und Wandmalprojekte mit jungen Strafgefangenen in der sozialtherapeutischen Abteilung der JVA Tegel, Berlin


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