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Gemalt, gegossen, geackert - und gefeiert

Tage der Offenen Ateliers in Ferch mit Micky Focke und Chris Hinze und ihrer Ausstellung "Portal"

Unter dem Druck ihrer nahenden Ausstellung arbeiten Künstler nervenstark und muskel-intensiv rund um die Uhr. Es muss fertig werden! Und lernen bei allem kreativen Schaffen in Ruhe und Isolation wieder den Charme und die Potenz von Teamarbeit schätzen. So geht es auch Micky Focke und Chris Hinze kurz vor den Tagen der Offenen Ateliers am Wochenende des 21. und 22. August 2021 - ein Schwielowseer Kunstereignis schon im 23. Jahr, lebendig auch in Corona-Jahren.


Einladung zum Aufbau der Kunstwerke Ich freue mich. Was da passiert, Tage zuvor auf der Seewiese vor der kleinen Marina in Ferch, gibt mir einen plastischen Eindruck von der Devise vieler Künstler - unisono von Karl Valentin über Joseph Beuys bis zu Micky Focke:

"Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit!"

Chris Hinze ist Bildhauer, er verbindet Kunst mit Handwerk. Für die Ausstellung "Portal" transportiert er am 18. August in Eigenregie - logistisch wie handwerklich - die restlichen sechs seiner insgesamt 12 Halbkugeln aus Beton. Jede wiegt diebstahlsichere 480 kg und wurde in einem (von ihm) ausgeklügelten und aufwändigen Gießverfahren, auch mit Hilfe industrieller Fertigung, hergestellt. Im Vergleich dazu machte die kreative Arbeit nur einen kleinen zeitlichen Teil des künstlerischen Prozesses aus. Umso höher ihr kultureller Wert. Die Halbkugeln tragen auf ihren Schnittflächen eine Sikaflor-Beschichtung, wie sie heute für wertbeständige Fußböden und Wände in Wohn-, Industrie- und anderen Nutzräumen verwendet wird. Eingelassen sind darin, reliefartig, MRT-Scans eines menschlichen Gehirns. Betonhalbkugeln als Gehirnschalen. Grandios.

"Wie die Fossilien in der Eiszeit",

erklärt Chris seine gestalterische Idee, "hinter-lassen wir Menschen auch Spuren, Abdrücke: in Natur und Architektur, in Kultur und Gesellschaft - aufbauend oder zerstörend, wie durch Kriege etwa." Alles hirngesteuert - ich beginne zu verstehen. Und zu staunen. Die Anatomie des menschlichen Gehirns wird in Chris Hinzes Betonkugeln zur Kunstform. Leonardo da Vincis frühe Anatomiestudien fliegen durch meine Gedanken. Universalien der Kunst - und dennoch höchst individuelle Handschriften.

"Außerirdische könnten sich in ferner Zukunft über die Schlichtheit des menschlichen Gehirns wundern?" "Ja," bekräftigt Chris meinen Verdacht, "und die Ausrottung unserer Spezies auf diesem Planenten nachvoll-ziehen", ergänzt er mit feiner Ironie und einem versöhnlichen Zwinkern. "Kann man deine Kugeln kaufen?", frage ich. Mehr aus Ehrfurcht vor dem Objekt als mit Kaufabsicht. "Klar", die lakonische Antwort, "aber nur als Gesamtkunstwerk". Angebote freibietend!


"Unsere Sachen müssen gesehen werden, Kunst ist ein lebendiger Prozess"

Also dann ans Werk! Spanngurte mit Ratsche runter vom Hänger. Holzbalken von den Winkelträgern befreien. Mit Akkuschraubern im Alleingang, dann in Teamarbeit. Entfesselte Balken mit Wucht rein in den Transporter. Und die Halbkugel mit der Lastenkarre über die Rampe auf die Wiese. Geschafft. Eine liegt am Zielpunkt. Die Arbeit einer ganzen Stunde. Das Künstlerduo braucht Stärkung und eine Pause. Künstlerromantik - eine längst fällige Denkkorrektur. Oder neuartig definiert - wie hier im ersten Foto?

Nach lebhaftem Besuch von Kunstliebhabern am Samstag beschert der Sonntagmittag unerwartet strömenden Regen - und einen regen Austausch in Micky Fockes lichtem MalerInnen-Atelier.

Von der Galerieleiste hängt sie eine ihrer neuesten Arbeiten ab. Aus einer Alltagstätigkeit spontan entstanden: "Ich schabe immer mal wieder von meiner Palette die eingetrockneten Reste von Ölfarben ab. Und neulich, ich will sie schon entsorgen, merke ich plötzlich, als ich sie zwischen den Fingern hin- und her rolle" (sie macht uns das anschaulich vor), "dass diese Farbreste noch ein Eigenleben haben." Tatsächlich: Übereinander gelagert und von KünstlerInnenhand wie spielerisch verteilt erkennen wir Betrachter in den plastisch verarbeiteten Farbresten auf 25x25 cm Holz Figürliches. Die getrockneten hohlen Ränder der Farbtuben sehen uns wie Augen an, Augen eines Tiers. "Eule", kommt das erste Deutungsangebot. Ein zweites gleich hinterher: "Orang-Utan für mich." Kunsterfahrung als lebendiger Prozess, Chris hatte recht. Die Deutungshoheit liegt nicht bei der Künstlerin. Bedeutung generieren liegt im Auge des Betrachters.


Apropos: Reste unserer Konsumgesellschaft "Was wir leichtfertig wegtun in unserer Zivilisation", das rettet Micky Focke und schafft damit einen künstlerischen Mehrwert. Mischtechnik ist eine ihrer Maltechniken.

In Mischtechnik ist etwa der Falter in einem Einmachglas entstanden: aus Wegwerf-produkten wie Heftklammern und Drähten, neuartig arrangiert zu einer grazilen und lebendig wirkenden Naturform, konserviert im gemalten offenen Glas und so virtuell vor der Vernichtung geschützt.


Der Falter erscheint zur Ausstellung auf der Seewiese auch auf einem wehenden Druckbanner, das die Idee zur Ausstellung "Portal" aus Sicht beider Künstler verbreitet: "Wir stehen mit unseren Arbeiten für die Rettung der Welt vor der Verschwendung".



Humorvoll ist Micky Fockes Ansatz im Medium der Paintography, neben der Mischtechnik und klassischen Ölmalerei ihre dritte Maltechnik, bei der sie Fotos übermalt. Dürers bekannte Zeichnung "Betende Hände" hat sie aktualisiert, als "Waschende Hände" in Zeiten von Virusbekämpfungsschutzmaßnahmen (what a word). Eine gelungene Ästhetisierung der Pandemie, finde ich. "Den betenden Ansatz habe ich erhalten", sagt Micky, und alltagstauglich umgewidmet: "Bitte, bitte, lass ES an uns vorbeigehen!" "Kunst muss nicht immer böse, kritisch sein", das ist ihre heitere Überzeugung.


"Wir wollen als Künstler Abfall wertvoll machen."

Micky Focke schafft dies mit ihrer Mischtechnik, in Form ihres künstlerischen Upcycling, einer Aufwertung von Stoffen gegenüber der stofflichen Wiederverwendung im industriellen Recycling.

Chris Hinze gestaltet ganz anders: Er legt seine Portal-Plateaus in einem großen Kreis um seine Betonkugeln aus. Das sind flache runde Schüsseln mit unterschied-licher Füllung: Tennisbälle, Flaschen, Künstlerpaletten, Dosen aus Plastik und Aluminium, Schaumstoff. Er appelliert: "Menschen sollen etwas spüren, wenn sie herkommen. Sollen sich spüren. Erst dann können wir nach außen gehen, in unsere hochtechnisierte Welt". Und dort - außerhalb des Kunstraums - ebenso nachdenklich wie nachhaltig konsumieren. Einige Plateaus hat er leergelassen. In eines lege ich meine regenweichen Mokassins hinein. Sie sind zu retten. Leder ist ein langlebiger Naturstoff. Künstler-Appell angekommen!


Ein Künstler-Duo, wie es in seinen Objekten verschiedenartiger und dennoch komplementärer nicht sein kann!

Auch ihre Biografien - diametral und doch in der Schnittmenge überlappend. Chris in Cottbus geboren, Autodidakt und seit 23 Jahren freischaffender und weit bekannter Bildhauer mit viel beachteten Ausstellungen - und Musiker! Mit einem Atelier in der Neuen Ziegelmanufaktur in Glindow. Micky im Westen aufgewachsen, durch Studium und Promotion zur Architektur und dann zur Kunst gekommen, beide Begabungen vereint sie auf ihrer beruflichen Doppelspur. Lange schon verbindet beide Künstler ein thematisch verwandtes Kunstschaffen und eine "Herzensfreundschaft".

Ich trete heraus aus dem äußeren "Portal"-Ring. Holzstehlen, von Chris Hinze kraftvoll in die Wiese getrieben, im Wechsel mit seinen ebenso grazilen wie standfesten Menschenfiguren aus Holz bilden offene Türen, die einen imaginären Raum umgeben. Hier können Besucher Kunstgenuss erleben und ihr zivilisatorisches Gewissen pflegen. Ich konnte es!


Und dann strömen sie doch noch durchs "Portal",

die Sonntagsbesucher,

als der Regen endlich nachlässt. Eine hochverdiente Aufmerksamkeit für Micky und Chris!


Das Kontakt-Portal:

Micky Focke: 0177 8806 181 / info@focke-atelier.de

Chris Hinze: 0179 1268 402 / chrishinze@chrishinze.de

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